Briefe an Goethe: RA 1, Nr. 1
Von Ludwig Karl Ernst Ysenburg von Buri

26. Mai 1764, Neuhof bei Offenbach

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    Mein Herr!


Ihr Schreiben mußte mir nothwendig unerwartet kommen
da mir weder Hand noch Siegel noch auch selbsten der Nahme
bekandt war; dennoch war es mir höchst angenehm.


Meine Freunde meynen es zu gut mit mir, indem Sie
eine Sache von mir vorgeben, die Sie, ob sie wohl zu mei-
nem Vortheil dient, nicht verantworten konnen.
Sie legen mir Eigenschaften bey die sie nicht endeckt,
und Verdienste die sie nie gekandt haben; zum wenig-
sten bey mir. Meine Freunde mögen es gut meynen Sie
thun aber, im Grund betrachtet, sich und mir Schaden.
Sich, da sie den Leuten etwas vormahlen, und am Ende vor
Windmacher gehalten werden müßen. Mir, indem sie
durch unverdiente Lobeserhebungen, andre auf meine
Bekandtschaft neugierig machen, bey denen ich würcklich in
gehöriger Entfernung mehr würde gewonnen haben.
Allein genug hiervon ich will zum Zweck schreiten. Sie
tragen wie ich aus ihrem Schreiben ersehe ein Verlangen
in unsere Gesellschaft aufgenommen zu seyn.
Es wird derselben zu besonderem Vergnügen gereichen, | 2 |
Sie, mein Herr! darunter aufzunehmen; allein Sie
würde mirs auch sehr verdencken wenn ich Sie sogleich
ohne weitere Untersuchung und Nachfrage zu einem
Mitglied dieser Gesellschaft aufnehmen wollte.
Ich binn eben so offenhertzig als Sie. Sie gestehen auch
den geringsten ihrer Fehler, und ich bin eben so we-
nig ein Freund der Verstellung. Ich hätte ihnen leicht
ein Blendwerck vormachen können allein da würd'
ich mich auf einmahl ihrer gantzen Hochachtung
verlustig gemacht haben. Ich kann also nicht umhin
sie zu bitten sich erstlich bey Hℓ. Alexis der Auf-
seher der Gesellschaft ist, zu stellen, damit ich von
ihm die gehörige Nachricht einziehen könne, um
mich nicht einer grausamen Verantwortung bey
der Gesellschaft auszusetzen. Werde ich von diesem
die Nachricht erhalten haben, weßwegen ich auch heu-
te noch an ihn schreiben werde, so soll ihre Aufnahme
nicht einen Augenblick verschoben bleiben. Sie
werden mir hoffentlich diese Vorsichtigkeit verge-
ben, wenn sie die Ursachen derselben recht erwegen.

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Ich mache mir ein großes Vergnügen daraus ihre Be-
kandtschaft, und wenn wir uns zusammen schicken,
ihre Freundschaft zu erlangen. Ich bin aber eben so vor-
sichtig in der Wahl meiner Freunde als in der Auf-
nahme der Mitglieder in die Gesellschaft. Dencken sie
was sie immer wollen von meiner Klugheit, die
fast der Vorsichtigkeit, des Hℓ. von Abgrundes im
Schlegel, gleichkommt; nennen sie sie unnütz, über-
trieben, törigt mißtrauisch, oder wie es ihnen ge-
fallen wird; glauben sie ich sey ein ungesitteter,
unhöflicher Landjuncker; genug ich finde meine Be-
hutsamkeit nötig. Wer einmahl betrogen ist laßt
sich nicht gerne wieder fangen. Wie kann
ich von ihnen versichert seyn da ich weder die Ehre
habe sie zu kennen, noch auch etwas von Ihnen ge-
hört zu haben. Verzeihen sie mir also meinen, vielleicht
zu offenhertzigen Brief. Allein der Hof hat meine
Sitten und meine Aufrichtigkeit noch bißher nicht
beleidiget. Ich kann es Hℓ. Alexis nicht verzeihen | 4 |
daß er mich ihrer werten Bekandtschaft bißhero
beraubt hat ich hoffe aber in der Folge das versäum-
te nachzuhohlen und habe die Ehre zu seyn pp.


    Ludwig Ysenburg von Buri.


S: Universitätsbibliothek Leipzig (Abschrift von B.)  D: Geiger, in: GJb 24 (1903) 249f.  B: 1764 Mai 23 (WA IV 1, Nr. 1)  A: 1764 Juni 2 (WA IV 1, Nr. 2) 

G.s Schreiben sei B. höchst angenehm, doch seien ihm weder Hand noch Siegel noch auch selbsten der Nahme bekandt gewesen. Über den Schaden, den B.s Freunde sich und ihm durch unverdiente Lobeserhebungen zufügten. - Vor der Aufnahme in die Arkadische Gesellschaft zu Phylandria müsse sich G. bey Herrn Alexis der ein Aufseher der Gesellschaft ist (d.i. F. K. Schweitzer), vorstellen, damit B. die gehörige Nachricht einziehen könne. - B.s Vorsicht in der Wahl seiner Freunde als in der Aufnahme der Mitglieder in die Gesellschaft komme fast der Vorsichtigkeit des Herrn von Abgrundes im Schlegel (in J. E. Schlegels Lustspiel "Der Geheimnisvolle") gleich.

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      Mein Herr!

 Ihr Schreiben mußte mir nothwendig unerwartet kommen da mir weder Hand noch Siegel noch auch selbsten der Nahme bekandt war; dennoch war es mir höchst angenehm.

 Meine Freunde meynen es zu gut mit mir, indem Sie eine Sache von mir vorgeben, die Sie, ob sie wohl zu meinem Vortheil dient, nicht verantworten konnen. Sie legen mir Eigenschaften bey die sie nicht endeckt, und Verdienste die sie nie gekandt haben; zum wenigsten bey mir. Meine Freunde mögen es gut meynen Sie thun aber, im Grund betrachtet, sich und mir Schaden. Sich, da sie den Leuten etwas vormahlen, und am Ende vor Windmacher gehalten werden müßen. Mir, indem sie durch unverdiente Lobeserhebungen, andre auf meine Bekandtschaft neugierig machen, bey denen ich würcklich in gehöriger Entfernung mehr würde gewonnen haben. Allein genug hiervon ich will zum Zweck schreiten. Sie tragen wie ich aus ihrem Schreiben ersehe ein Verlangen in unsere Gesellschaft aufgenommen zu seyn. Es wird derselben zu besonderem Vergnügen gereichen,| 2 | Sie, mein Herr! darunter aufzunehmen; allein Sie würde mirs auch sehr verdencken wenn ich Sie sogleich ohne weitere Untersuchung und Nachfrage zu einem Mitglied dieser Gesellschaft aufnehmen wollte. Ich binn eben so offenhertzig als Sie. Sie gestehen auch den geringsten ihrer Fehler, und ich bin eben so wenig ein Freund der Verstellung. Ich hätte ihnen leicht ein Blendwerck vormachen können allein da würd' ich mich auf einmahl ihrer gantzen Hochachtung verlustig gemacht haben. Ich kann also nicht umhin sie zu bitten sich erstlich bey Hℓ. Alexis der Aufseher der Gesellschaft ist, zu stellen, damit ich von ihm die gehörige Nachricht einziehen könne, um mich nicht einer grausamen Verantwortung bey der Gesellschaft auszusetzen. Werde ich von diesem die Nachricht erhalten haben, weßwegen ich auch heute noch an ihn schreiben werde, so soll ihre Aufnahme nicht einen Augenblick verschoben bleiben. Sie werden mir hoffentlich diese Vorsichtigkeit vergeben, wenn sie die Ursachen derselben recht erwegen.

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 Ich mache mir ein großes Vergnügen daraus ihre Bekandtschaft, und wenn wir uns zusammen schicken, ihre Freundschaft zu erlangen. Ich bin aber eben so vorsichtig in der Wahl meiner Freunde als in der Aufnahme der Mitglieder in die Gesellschaft. Dencken sie was sie immer wollen von meiner Klugheit, die fast der Vorsichtigkeit, des Hℓ. von Abgrundes im Schlegel, gleichkommt; nennen sie sie unnütz, übertrieben, törigt mißtrauisch, oder wie es ihnen gefallen wird; glauben sie ich sey ein ungesitteter, unhöflicher Landjuncker; genug ich finde meine Behutsamkeit nötig. Wer einmahl betrogen ist laßt sich nicht gerne wieder fangen. Wie kann ich von ihnen versichert seyn da ich weder die Ehre habe sie zu kennen, noch auch etwas von Ihnen gehört zu haben. Verzeihen sie mir also meinen, vielleicht zu offenhertzigen Brief. Allein der Hof hat meine Sitten und meine Aufrichtigkeit noch bißher nicht beleidiget. Ich kann es Hℓ. Alexis nicht verzeihen| 4 | daß er mich ihrer werten Bekandtschaft bißhero beraubt hat ich hoffe aber in der Folge das versäumte nachzuhohlen und habe die Ehre zu seyn pp.

  Ludwig Ysenburg von Buri.

 

 
 

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Online-Edition:
RA 1, Nr. 1, in: https://goethe-biographica.de/id/RA01_0001_00002.

Druck des Regests: RA 1, Nr. 1.

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