Briefe an Goethe: RA 1, Nr. 18
Von Johann Kaspar Lavater

4. Januar 1774, Zürich

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Goethe! Du fängst an zusinken – – aus
Güte, denk' ich, aus Weisheit – du glaubst
nicht an meinen Glauben an dich, doch
liebst du mich. – Du weißest noch nicht,
was ich tragen kann – doch der Starke rüh-
me sich nicht seiner Stärke – – Goethe –
must du mirsagen "gehe behutsam mit
deinen Briefen um" - Goethe! warum
sinkst du untermich – o du!! Lieber! ...
Zehn Minuten halte ich die Feder schon –
B heißt mich fortschreiben; ich weiß nicht,
wie mir geschehen ist durch deinen Brief;
Welch ein Eindruk das ist in meinem
Gemüthe, so was wehmüthiges herrscht
darinn, daß ich nicht weiß, was thun –
ich löffe am liebsten zu dir, u: kann's
nicht ausstehen, daß es unmöglich ist.
Denkst du auch, was das für eine Ewig-
keit ist, von izt bis wieder Antwort da ist? | 2 |
Wie grausam weh thust du uns! ... Du
erscheinst – ein Wort, ein Blick dazu, daß
tausend Fragen erzeügt werden, u: du –
verschwindst für 14. Tage; Am Christtage
eine unvernehmliche Stimme u: verschwun-
den; am lezten 1773. einen Blick, der
mir durch Mark u: Gebein dringt, und
verschwunden! Bruder, Bruder! Plag' un-
sere Seelen nicht so .... Ach, u: warum
zurükziehen? Das schmerzt auch so!


            =


"Wenn du einen Meßias brauchst, so hal-
te dich an dem, der dir von immer quellen-
dem Waßer versprochen hat."


Also wär' doch die Sache unaussprechlich
einfältig diese: Wenn man von diesem
Waßer hätte, bekäme die Fülle auch für
andere ... so könnte sich doch alsdann kein
MenschenVerstand zwingen, zulaügnen,
daß der Brunn | 3 |
Ach! Ja! Ja! Bruder – du hast für dich, nur
für dich – genug – aber (doch ich habe schon
oft zuviel versprochen) aber – ich habe sehr
oft noch für andere, die ich freylich weni-
ger erquiken kann. – O Goethe, was ich bin,
muß ich dir seyn – was ich seyn werde,
werd' ich dir seyn – Nimm's dann, oder gieb's,
wem du willst; ich muß geben, was ich ha-
be.


            =


Schöne, edle, himmlische Seele – die Demuth-
sängerinn – Ach – ach – ach – wo bin ich – doch
Jesus Christus ist – o wie bin ich ihm oft
so nahe – u: ich darf, darf's nicht sagen, was
ich ihm – zuwinken darf. – O du – lache
meiner Einfalt nicht – du EinfaltFreünd –
trage den Schwachen, der auch trägt.


            =


Aber – du Nichtantworter – antworte mir
doch nächstens –
1​ọ) Was urtheilst du von den gesandten
Bildern oder Schatten? | 4 |
2​ọ) Was liesest du am liebsten?
3​ọ) Dein genauer, scharfer Schattenriß, u:
Herders u: Herderinn.
4​ọ) Willst du mein Lehrer bleiben? Ich
umarme dich.


    L.
   


S: Zentralbibliothek Zürich  D: Briefe HA Nr. 14  B: 1773 Dezember 25 (vgl. RA 1, Nr. 17); 1773 Dezember 31 (vgl. RA 1, Nr. 18)  A?: vor 1774 Januar 7 (vgl. RA 1, Nr. 20)  V: Abschrift 

Enttäuschung und Schmerz über G.s Briefe vom Christtage und vor allem vom lezten 1773. : [...] must du mir sagen, gehe behutsam mit deinen Briefen um'. / B. Schultheß heißt mich fortschreiben [...]. In L.s Gemüt herrsche so was wehmüthiges, daß er nicht wisse, was tun. Kritik an G.s Äußerung: ,Wenn du einen Meßias brauchst, so halte dich an dem, der dir von immer quellendem Waßer versprochen hat.'/ O Goethe, was ich bin, muß ich dir seyn - was ich seyn werde, werde, werd' ich dir seyn -. Nimm's dann oder gieb's, wem du willst; ich muß geben, was ich habe. G. möge ihm sagen, was er von den gesandten Bildern oder Schatten halte, was er am liebsten lese, ob er L.s Lehrer bleiben wolle. Bitte um einen genauen Schattenriß von G., Herder und dessen Frau.

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 Goethe! Du fängst an zusinken – – aus Güte, denk' ich, aus Weisheit – du glaubst nicht an meinen Glauben an dich, doch liebst du mich. – Du weißest noch nicht, was ich tragen kann – doch der Starke rühme sich nicht seiner Stärke – – Goethe – must du mirsagen "gehe behutsam mit deinen Briefen um" - Goethe! warum sinkst du untermich – o du!! Lieber! ... Zehn Minuten halte ich die Feder schon – B heißt mich fortschreiben; ich weiß nicht, wie mir geschehen ist durch deinen Brief; Welch ein Eindruk das ist in meinem Gemüthe, so was wehmüthiges herrscht darinn, daß ich nicht weiß, was thun – ich löffe am liebsten zu dir, u: kann's nicht ausstehen, daß es unmöglich ist. Denkst du auch, was das für eine Ewigkeit ist, von izt bis wieder Antwort da ist?| 2 | Wie grausam weh thust du uns! ... Du erscheinst – ein Wort, ein Blick dazu, daß tausend Fragen erzeügt werden, u: du – verschwindst für 14. Tage; Am Christtage eine unvernehmliche Stimme u: verschwunden; am lezten 1773. einen Blick, der mir durch Mark u: Gebein dringt, und verschwunden! Bruder, Bruder! Plag' unsere Seelen nicht so .... Ach, u: warum zurükziehen? Das schmerzt auch so!

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 "Wenn du einen Meßias brauchst, so halte dich an dem, der dir von immer quellendem Waßer versprochen hat."

 Also wär' doch die Sache unaussprechlich einfältig diese: Wenn man von diesem Waßer hätte, bekäme die Fülle auch für andere ... so könnte sich doch alsdann kein MenschenVerstand zwingen, zulaügnen, daß der Brunn| 3 | Ach! Ja! Ja! Bruder – du hast für dich, nur für dich – genug – aber (doch ich habe schon oft zuviel versprochen) aber – ich habe sehr oft noch für andere, die ich freylich weniger erquiken kann. – O Goethe, was ich bin, muß ich dir seyn – was ich seyn werde, werd' ich dir seyn – Nimm's dann, oder gieb's, wem du willst; ich muß geben, was ich habe.

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 Schöne, edle, himmlische Seele – die Demuthsängerinn – Ach – ach – ach – wo bin ich – doch Jesus Christus ist – o wie bin ich ihm oft so nahe – u: ich darf, darf's nicht sagen, was ich ihm – zuwinken darf. – O du – lache meiner Einfalt nicht – du EinfaltFreünd – trage den Schwachen, der auch trägt.

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 Aber – du Nichtantworter – antworte mir doch nächstens – 1​ọ) Was urtheilst du von den gesandten Bildern oder Schatten?| 4 | 2​ọ) Was liesest du am liebsten? 3​ọ) Dein genauer, scharfer Schattenriß, u: Herders u: Herderinn. 4​ọ) Willst du mein Lehrer bleiben? Ich umarme dich.

  L.  

 

 
 

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Zitierhinweis

Online-Edition:
RA 1, Nr. 18, in: https://goethe-biographica.de/id/RA01_0018_00020.

Druck des Regests: RA 1, Nr. 18.

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