Goethes Briefe: GB 2, Nr. 81
An Elisabeth Jacobi

〈Frankfurt a. M. , Mitte Dezember? 1773〉 → 〈Düsseldorf〉


Die Violin wird ehstens ankommen, Mamachen, wie eine Comödiantinn, in der Probe, in flanellnem Wamms, mit Bändern bunt auf der Haube. Glauben Sie nur imer wenn's Ihnen ankommt mir einen Brief zu schreiben, dass es ein guter Geist ist ​1, wenigstens mein guter Geist, ​2 und fühlen Sie wie willkommen mir Ihre ​3 Briefe sind, da ich so allein binn. Aber gewiss doch glücklicher als iemals, und auch mit herzlich lieben Geschöpfen umgeben.

Vom Vätergen haben Sie ​4 nun ein Exemplar rouinirt. Ich schick Ihnen doch die folgenden Bogen. /

Ihre5 Buben sind mir lieb, denn es sind Ihre Buben, und der lezte ist mir immer der nächste ​6. Ob sie an ​Crist glauben, oder ​7 ​Göz, oder ​Hamlet, das ist eins, nur an was lasst sie ​glauben. Wer an nichts glaubt, verzweifelt an sich selber. Hat iemand, meine Hanover Lotte gesehn. Es sieht sie niemand mit meinen Augen, doch haben andre Leute auch Augen pp ——

Der Pot pourri im eigentlichen Verstand, ist ein gar unbedeutendes Möbel, er macht einer / Stube eine Teintüre8 Wohlgeruch, wie manche Leute eine Teintüre von Geschmack haben. Aber der Pot – den man aus Sittbaarkeit pourri nennt, und ders auch eigentlicher heissen könnte, verdiente, weit eher dass derselbe emblematisch und Apophtegmatisch9 nuzbaar auch der Seele gemacht würde. Ich habe einige gute ​10 Gedancken dazu aber das ganze! – eine Epopee ist nicht auf Einen Tag gereimt.

Den Bogen hab ich vom Violingen gelassen er sperrt nur, und den kriegen Sie überall.

  1. ist​ ↑
  2. Geist.​,​ ↑
  3. i​Ihre​ ↑
  4. s​Sie​ ↑
  5. Bogen. Aber sie zu ver- / brennen, find ich unhaushältisch. Bey Gott – ​Sanftes, tapfres ​Druckpapier! Zu ver​brennen! Ich halte meine Makulatur besser in Ehren. / Ihre​ ↑
  6. nä|c|hste ​ ↑
  7. ob​der​ ↑
  8. Tei|n|türe​ ↑
  9. Apophtegmatig​sch​ ↑
  10. de​gute​ ↑

Der Brief antwortet auf Elisabeth Jacobis Brief vom 9. Dezember. Da die Beförderung von Briefen zwischen Düsseldorf und Frankfurt ungefähr drei Tage in Anspruch nahm (vgl. Datierung zu Nr 68), kann für den vorliegenden Brief etwa der 12. Dezember als Terminus post quem angesehen werden. Die Violine, deren Ankunft Goethe ankündigt (vgl. 61,12), war als Weihnachtsgeschenk für Elisabeth Jacobis Söhne bestimmt (vgl. Nr 75), so dass anzunehmen ist, sie sei etwa Mitte Dezember 1773 abgeschickt und der vorliegende Brief zur gleichen Zeit geschrieben worden.

H: GSA Weimar, Sign.: 51/II,12,1, Bl. 6–7. – Doppelblatt 11,5(–11,7) × 19 cm, 2 ¾ S. beschr., egh., Tinte. – Faksimile: Böhm (1970), zwischen 316 und 317.

E: Goethe-Jacobi (1846), 19 f., Nr 9.

WA IV 2 (1887), 144–146, Nr 206 (Textkorrekturen in den „Berichtigungen“, vgl. WA IV 50 [1912], 208).

Druckbogen von Lenz' Plautus-Nachdichtung „Das Väterchen“ (vgl. zu 61,19–20).

Der Brief beantwortet Elisabeth Jacobis Brief vom 9. Dezember 1773 (vgl. RA Ergänzungsbd zu den Bänden 1–5, 537, Nr 1/16a​+; abgedruckt im Anschluss an die Erläuterungen zu Nr 73). – Der Antwortbrief (vgl. 65,7) ist nicht überliefert.

Die Violin] Sie war für Elisabeth Jacobis Söhne bestimmt; vgl. Nr 75.

Mamachen] So wurde Elisabeth Jacobi in der Familie genannt.

wie eine Comödiantinn 〈…〉 Haube] Das „Goethe Wörterbuch“ kommentiert die vorliegende Stelle: „in bildhaft-vergleichendem 〈…〉 〈Zusammenhang〉 für eine Verpackung“ (GWb 4, 730). Der Vergleich mit einem Komödianten wurde im 18. Jahrhundert oft „im verächtlichen Verstande“ angestellt (Adelung 2, 1701).

flanellnem] Flanell: ein leichtes wolliges Gewebe (vgl. Adelung 2, 185).

Wamms] Eine „kurze Bekleidung des Leibes, welche man ehedem unter dem Mantel trug, den Leib bis auf die Hüften bedeckt, und Ärmel und kurze Schöße hat“ (Adelung 4, 1374); vgl. auch GB 1 II, zweite Erläuterung zu 250,3.

Haube] Weibliche Kopfbedeckung: „bald eine jede Bekleidung des Hauptes, ein Kopfzeug, bald nur eine Art einfacher und ungekünstelter Mützen, bald aber auch nur die leinwandene und gemeiniglich mit Spitzen besetzte Bekleidung unter der Mütze“ (Adelung 2, 1000).

lieben Geschöpfen] Elisabeth Jacobi glaubte offenbar, Goethe meine damit Gestalten seiner dichterischen Phantasie. Goethe erklärte dagegen in seinem Brief vom 31. Dezember (Nr 83), es handle sich um Bekanndtschafften Freund und Liebschafften (65,8–9).

Vom Vätergen 〈…〉 folgenden Bogen.] Elisabeth Jacobi hatte von Goethe mit Nr 73 Druckbogen von Lenz' Plautus-Nachdichtung „Das Väterchen“ erhalten; eine weitere Sendung hatte Goethe in Nr 73 angekündigt (vgl. 56,18–19). Diese Bogen waren von Elisabeth Jacobi verbrannt worden. Über die Gründe dafür berichtet sie in ihrem Brief vom 9. Dezember (abgedruckt im Anschluss an die Erläuterungen zu Nr 73). Trotzdem übersandte Goethe mit dem vorliegenden Brief weitere Bogen.

Var. Bogen. Aber 〈…〉 Ehren. / Ihre] Die Streichung wurde nicht vom Herausgeber des Erstdrucks vorgenommen, wie in WA IV 2, 321 und DjG​3 3, 430 angenommen (wo außerdem der erste Satz Aber 〈…〉 unhaushältisch. als nicht gestrichen angegeben ist), sondern von Goethe selbst, wie bereits Hans Böhm vermutete (vgl. Böhm [1970], 315). Eine 2003 im Auftrag des GSA vom Materialwissenschaftler Oliver Hahn vorgenommene Analyse der Tinte bestätigte diesen Befund.

Ihre Buben] Der achtjährige Johann Friedrich (Fritz) und der fünfjährige Johann Georg Arnold.

der lezte] Der am 17. Oktober 1773 geborene Franz Theodor.

Ob sie 〈…〉 ​Hamlet] Goethe bezieht sich auf Elisabeth Jacobis Brief vom 9. Dezember, abgedruckt im Anschluss an die Erläuterungen zu Nr 73 (vgl. Zeile 51–53).

iemand] Johann Georg Jacobi (vgl. 64,11–12). Er hatte Charlotte Kestner in Hannover gesehen. In ihrem Brief vom 9. Dezember (abgedruckt im Anschluss an die Erläuterungen zu Nr 73) hatte Elisabeth Jacobi Goethe einen Brief angekündigt, in dem sie Jacobis Schilderung von Charlotte Kestner übermitteln wollte; der angekündigte Brief ist nicht überliefert.

meine Hanover Lotte] Charlotte Kestner; ihr Mann Johann Christian Kestner war seit Juni 1773 Registrator am Calenberger Archiv in Hannover (vgl. zu 19,11).

Pot pourri] Französische Lehnübersetzung von span. olla podrida (Eintopf), hier: wörtlich: Topf mit Verfaultem (weiter vgl. zu 55,15–20).

Teintüre] Franz. tenture: Tapeten, Tapetenbehang; hier im übertragenen Sinn.

emblematisch] Sinnbildlich.

Apophtegmatisch] So viel wie: „in Spruchform“ (GWb 1, 772); von griech. ​ἀποφθέγγεσθαι: gerade heraussagen.

Epopee] Hier wohl metaphorisch „für literar Werke von bedeutendem Umfang“ (GWb 3, 226); zeitgenössisch auch ‚Epopöe‘, nach griech. ​ἐποποιίη: epische Dichtung (eigentlich: Verfertigung des Epos).

Den Bogen 〈…〉 überall.] Der Schriftduktus lässt vermuten, dass dieser Absatz nachgetragen wurde.

 

 
 

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Zitierhinweis

Online-Edition:
GB 2, Nr 81 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), in: https://goethe-biographica.de/id/GB02_BR081_0.

Entspricht Druck:
Text: GB 2 I, S. 61–62, Nr 81 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.
Kommentar: GB 2 II, S. 167–169, Nr 81 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.

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