Goethes Briefe: GB 2, Nr. 65
An Elisabeth Jacobi

Frankfurt a. M. , 3. November 1773. Mittwoch → 〈Düsseldorf〉


Hier schick ich Mamagen ein Geles, ists nicht das beste; ists doch das neuste und so gut als ich's habe.

Die Bogen der Comödien heben sie auf, ich schicke die übrigen nach und nach.

Auch ein Paar Hochzeitkarmens, und dann viel Grüse von uns allen. Ists dem lieben Bübgen wohl? ​1 und wie heissts? Ubrigens wird Tante und Lolo, Ihnen erzählt haben von uns und unsrer Wirthschafft, die sich zwar nicht mit Worten beschreiben lässt, sie ist bunter und monotoner als eine Chinoise.

Meine Wette sodann, liebe Frau meine Wette! Gehts denn überall wie bey Gericht? Halb Part hab ich ia schon gesagt, und drüber versprech ich Ihnen noch zwey Sinngedichte.

Der Töpfer ist hier mit grosem Beyfall aufgeführt worden. / Dass aber ia keine Freude rein sey, will der Verlag seiner Partitur nicht aus der Stelle.

Nun Adieu wieder auf eine Weile, und Täntgen und Lotten2 versichert dass ich immer der Alte binn. Frfurt am 3 Nov. 1773    Goethe.

  1. wohl,​?​ ↑
  2. Lol​tten​ ↑

H: GSA Weimar, Sign.: 51/II,12,1, Bl. 2–3. – Doppelblatt 11,7 × 19,2 (–19,4) cm, 1 ⅓ S. beschr., egh., Tinte.

E: Goethe-Jacobi (1846), 8 f., Nr 2.

WA IV 2 (1887), 121, Nr 181.

1)  Manuskript des „Jahrmarktsfests zu Plundersweilern“ (vgl. die zweite Erläuterung zu 51,22).

2)  Manuskript unbekannten Inhalts; Elisabeth Jacobi spricht von einem „Roman“ (vgl. die zweite Erläuterung zu 51,22 sowie Elisabeth Jacobis Antwortbrief im Anschluss an die folgenden Erläuterungen).

3)  Manuskript von „Des Künstlers Erdewallen“ (vgl. die zweite Erläuterung zu 51,22).

4)  Druckbogen der „Lustspiele nach dem Plautus“ von Lenz (vgl. zu 51,24).

5)  Manuskripte von Hochzeitsgedichten aus dem Familien- und Bekanntenkreis für Cornelia Goethe (vgl. zu 52,1).

Ein Bezugsbrief ist nicht bekannt. – Elisabeth Jacobi antwortete am 6. November 1773 (vgl. RA 1, 52, Nr 13; Brief abgedruckt im Anschluss an die folgenden Erläuterungen).

Mamagen] Anrede Goethes für Elisabeth Jacobi (vgl. die einleitende Erläuterung zu Nr 53).

Geles] „Lesestoff, Lektüre“ (Südhessisches Wörterbuch 2, 1227); das Wort findet sich auch in Johann Georg Schlossers Rezension des „Götz“, abgedruckt in der Erläuterung zu 30,8. – Die Sendung enthielt ein Manuskript von Goethes „Jahrmarktsfest zu Plundersweilern“ (vgl. Friedrich Heinrich Jacobis Brief an Wieland, 6. November 1773, zitiert in der Erläuterung zu 40,6–7). In Elisabeth Jacobis Antwortbrief ist ferner von einem „zugeschickten Roman“ und einem „Drama“ die Rede, in welchem die „Venus Rede“ sehr ergötzlich gewesen sei. Der Roman ist nicht bekannt; mit dem Drama ist „Des Künstlers Erdewallen“ gemeint (zur ‚Venusrede‘ vgl. DjG​3 3, 339 f.).

Bogen der Comödien] Druckbogen von Jakob Michael Reinhold Lenz' Übersetzung „Lustspiele nach dem Plautus“.

Hochzeitkarmens] Gedichte aus dem Familien- und Bekanntenkreis zur Hochzeit von Goethes Schwester Cornelia am 1. November 1773 (vgl. A. Dietz: Gelegenheitsgedichte aus dem Goethe-Textorischen Familienkreise. In: Berichte des Freien Deutschen Hochstiftes in Frankfurt am Main. N. F. 10 [1894]. S. 80–83).

Bübgen] Elisabeth Jacobis am 17. Oktober geborener Sohn Franz Theodor (vgl. zu 46,9).

Tante und Lolo] Johanna Fahlmer und Charlotte Jacobi; beide waren in Frankfurt zu Besuch gewesen.

Wirthschafft] Hier: „Inbegriff 〈…〉 aller häuslichen Geschäfte“ (Adelung 4, 1577).

Chinoise] Das „​chinesische S〈chattenspiel〉 (ombres chinoises) 〈…〉 ist ein Spielwerk, welches aus China und Indien stammt, wobei Bilder im Schattenriß an einer Wand vorübergehen. Die Vorrichtung dazu besteht in einem sechs- oder achtseitigen Gestelle von Blech, welches sich mittelst einer senkrechten Welle herumdrehen läßt. Auf jeder Seite wird ein Bild eingeschoben und hinter dieses ein Licht gestellt. Die Bilder sind nach den Umrissen ausgeschnitten wie ein Skelett. Diese Vorrichtung ist in einem größeren Kasten angebracht, dessen vordere Seite von weißem Taffet od. von in Baumöl getränktem Papier ist.“ (Binzer/Pierer 19, 437 f.)

Wette] Die Bedingungen der Wette – über deren Gegenstand vgl. zu Nr 59 (47,15–16) – sind nicht bekannt. Vielleicht gehörten die von Goethe erwähnten zwey Sinngedichte (52,8) zu seinem Wetteinsatz.

Halb Part] Eine „formel 〈…〉, um sich einen gemeinschaftlichen gleichen antheil an etwas gefundenem oder sonst erlangten zu sichern“ (Grimm 4 II, 211).

Der Töpfer] Gemeint ist die Oper von Johann André (vgl. zu 51,8–10), deren Uraufführung am 22. Januar 1773 in Hanau stattgefunden hatte. In Frankfurt war sie erstmals am 29. Oktober 1773 aufgeführt worden; am 2. November berichteten die FGA (Nr 88, S. 725 f.) lobend darüber.

will 〈…〉 nicht aus der Stelle] Macht keinen Fortschritt.

Verlag] Hier: die „zu einer Unternehmung 〈…〉 voraus nöthigen Kosten“ (Adelung 4, 1074).

Täntgen und Lotten] Johanna Fahlmer und Charlotte Jacobi.


Elisabeth Jacobis Antwortbrief:


Düsseld. d 6 9br. 1773

Hr. Doct. Göthe Lobesan. Hier kommt Mamachen, um mit Ihnen ein wenig zu plaudern. Zwar Mamachen schreibt selbst nicht, sie sitzt hinter einem Vorhang mit schwachen halb erloschnen Augen, u schickt Worte und Gedanken in Täntchens(*) Feder. Bereits seit einigen Tagen lauerte ich auf einen wohlstudierten Glückwünschungs Brief v. Cätchen, Charlotte, Antonette, oder Nane; oder, dachte Antoinette wenigstens, würde sich mit einem JubelSchrey vor meinem Bette einfinden: allein da weder Brief noch Erscheinung kömt so gilt dieses mein Schreiben auch niemand als dem bösen Menschen mit dem guten Herzen, welcher brave neue Bekantschaften nicht so Ehren rührig behandelt, und aus der Acht lässt. Die Mädchen thun nicht wohl, wenn ich wieder nach Ffurt komme, so bin ich schlank, rasch, munter, u kann hübsch ohne Hr. Doctors Arm gehen; denn werden sie mich gerne haben; u. ich sage, ​ich will nun auch nicht, laßt mich bey lieb Gross Mama sitzen.

Diese Woche hatten unsre lieben Frankfurter einen fröhlichen Tag. Tante,      ,〈sic〉 u. ich gedachten des Brautpaars, so wie man zu thun pflegt, u machten ihnen eben darauf einen recht schönen Segen beym lieben Gott aus. Sagen Sie das Ihrer lieben Schwester; und daß ich noch immer mißvergnügt bin, daß sie zu Darmst. tanzen musste, während ich zu Frankf. herum schliche. — Und was habe ich für mein Schleichen? Anstatt eines holden Mädchens, einen grossen starken Jungen. Sein Auftritt in diese Welt war sehr kränkend. Die Wehemutter wollte mir sein Geschlecht ôt nennen; der Vater fuhr in ein stoisch Gesicht; die Bognerin sagte: Ey pfuy! u die Tante, welche man bey seiner Ankunft weckte, drehte mit einem ärgerlichen: ​nichts mehr als das! den Rücken nach der Wand hin u. schlief wieder ein. Ich, ich nahm meinen Jungen, Gott weis, zu mütterlichen Gnaden auf, versteckt ihn in mein Bette, u ließ ruhig die Leute derb murren. Eben vor diesem Bette hängt Ihre kleine Landsch〈a〉ft. Ich behaupte, sie sähe noch immer so freundlich, wie zu Ffrt, aus, wenn mein Zimmer hell wäre; allein die Tante sagt: Groß Papa(*) u Gr. Mama, welche darüber, als ein Pr. schwarze Meerkäzchen sitzen, verfinsterten das Stück, u ließen einen Katzen grauen Tag darauf leuchten. Sagen Sie Ihre Gedanken darüber. Und wenn die Frau Räthin nebst Cätchen u den übrigen, welche ich im Töpfer zu stecken glaubte, v. Hr. Doctors Hand gezeichnet ankommen; so melden Sie mir, ob die Stücke sich am besten gegen Morgen, Abend od Mitternacht in meiner Stube ausnehmen? —— Uber Ihren mir zugeschickten Roman freue ich mich recht herzlich; er hat mich amüsiert, so wie sie es haben wollten. Das geschenkte Drama ist sehr wohl angebracht. Täntchen macht ein saures Gesicht, in dem sie dieses schreibt; sie spricht, es sey gemauset. Allein das thut nichts dazu; Ihrer Venus Rede darin hat mich nach Würden ergötzt; u ich danke Ihnen recht sehr für dieses Vergnügen.

Orgelum Orgeley Dudeldumdey haben wir gestern einige mahl angestimt. Ergo!

Ueber Ihren Laocons Kopf habe ich mich ôt gefreut, weil Sie es ôt haben wollten. Leider brachte ich ôts von schönen Gyps Figuren v. Frankft. mit; Sie und die Tante mögen Sie mir nun um Ostern herschicken.

Dass die Tante u ich, unsern ebenen u graden Weg neben einander ohne stumpen u stolpern gehen, ist wahr, obgleich noch wohl immer ein Räthsel für dHℓ Dr Goethe Lobesan. Und hiemit Gott befohlen.

Hel. El. Jacobi. gebohrne v. Clerm. zugen.

Mamachen.


〈(*)〉 Ich Tante dabey aussehend, wie der bewußte abgemahlte Hr Bölling.

* Ist der Hr Joh Adam Clerm. welchen der H. Rath Goethe gleichfals das Glück hat zu besitzen.



(H: GSA 51/II,12,2; vgl. auch RA 1, 52, Nr 13.)

2 Lobesan] Mhd. lobesam: löblich, zum Preise gereichend. Mit dieser Formel spricht Faust Mephistopheles in der frühen Fassung des „Faust“ (Vers 486) an (vgl. DjG​3 5, 300); der Fortgang des vorliegenden Briefes zeigt, dass Elisabeth Jacobi die Szene bereits kannte: Die Formulierung „kann hübsch ohne Hr. Doctors Arm gehen“ spielt auf die Verse 460 f. an: Bin weder Fräulein weder schön / Kann ohngeleit nach Hause gehn (DjG​3 5, 298). 2 Mamachen] So nannte auch Goethe Elisabeth Jacobi in seinen Briefen. 4–5 in Täntchens Feder] Elisabeth Jacobi lag nach der Geburt ihres Sohnes Franz Theodor am 17. Oktober noch im Wochenbett; daher diktierte sie den vorliegenden Brief Johanna Fahlmer, die auch von Goethe ‚Tante‘ oder ‚Täntchen‘ genannt wurde (vgl. die einleitende Erläuterung zu Nr 19). 5–6 Glückwünschungs Brief] Anlässlich der Niederkunft. 6 Cätchen, Charlotte, Antonette, oder Nane] Die Schwestern Gerock, Freundinnen Goethes und seiner Schwester Cornelia. 15 Tante,     ,] Möglicherweise war die Lücke zwischen den Kommata für einen weiteren Namen vorgesehen. 16 Brautpaars] Johann Georg Schlosser und Cornelia Goethe; sie hatten am 1. November geheiratet. 19 zu Frankf.] Elisabeth Jacobi hatte sich vom 19. August bis zum 13. September zu Besuch in Frankfurt aufgehalten. 23 ōt] Nicht (ō: lat. non, nihil [nicht, nichts]). 23 der Vater] Friedrich Heinrich Jacobi. 23 stoisch] Hier wohl soviel wie ‚unbewegt‘, ‚unberührt‘. 23 die Bognerin] Francisca Bogner, ehemalige Erzieherin Johanna Fahlmers und der Brüder Jacobi. 27 Ihre kleine Landsch〈a〉ft] Näheres ist nicht bekannt. In Corpus VII, 25 (Nr 61) wird die von Elisabeth Jacobi hier erwähnte Zeichnung als nicht überliefert bezeichnet. Im GSA (Sign.: 51/II,9,1) findet sich jedoch eine lavierte Bleistiftzeichnung: „Torbau von Felsen flankiert, re. Pappeln, li. Staffagegruppe“ (Corpus VIb, 106, Nr N 22*). Auf der Rückseite steht die Angabe „von Goethe“, die von Helene Jacobi stammen soll (vgl. ebd.). Wie ein Handschriftenvergleich zeigt, könnte es sich auch um Elisabeth Jacobis Hand handeln. Aufgrund des geringen Vergleichsmaterials lässt sich freilich keine Sicherheit gewinnen. Sollte die Zeichnung aus dem Besitz der Familie Jacobi stammen, dann könnte sie auch zu der vorliegenden Briefstelle passen. 28–29 Groß Papa u Gr. Mama] Johann Adam Klermondt (Clermont) und dessen Frau Catharina Barbara von der Weyden. 31 Frau Räthin] Catharina Elisabeth Goethe. 32 Töpfer] Johann Andrés Oper „Der Töpfer“.     34 Roman] Nicht ermittelt. 35 Das geschenkte Drama] „Des Künstlers Erdewallen“. 39 Orgelum Orgeley Dudeldumdey] Refrain des Schattenspielmanns im „Jahrmarktsfest zu Plundersweilern“ (vgl. DjG​3 3, 145 f.). 40 Laocons Kopf] Laokoons Kopf. – Genaues darüber wurde nicht ermittelt. Möglicherweise handelte es sich um einen von Goethes Gipsabgüssen antiker Köpfe; davon ist in den Briefen an Johann Christian Kestner vom 5. Februar (Nr 9) und an Ludwig Julius Friedrich Höpfner vom 7. Mai 1773 (Nr 34) die Rede (vgl. 8,25–26; 27,12). 43–45 Dass die Tante 〈…〉 Lobesan.] Möglicherweise eine Anspielung auf die enge Beziehung beider Frauen zu Friedrich Heinrich Jacobi: Elisabeth Jacobi als Gattin und Johanna Fahlmer als Vertraute aus Kindertagen (und Konkurrentin Elisabeths?): „Er 〈Friedrich Heinrich Jacobi〉 hatte von Kindheit an, mehr als jeden andern, den Umgang einer Person gleichen Alters, die eine Halbschwester seiner früh verstorbenen Mutter war 〈Johanna Fahlmer〉, geliebt 〈…〉.“ (Friedrich Heinrich Jacobi's auserlesener Briefwechsel. Bd 1. Leipzig 1825, S. IX.) Es wird vermutet, dass Jacobi „Beziehungen zu Johanna Fahlmer unterhielt“ (Bach, Goethes Reise, 195). Johanna Fahlmers Umsiedlung nach Frankfurt 1772 sei möglicherweise „in der Absicht“ erfolgt, „so Verwicklungen zu entgehen, die ihr Verhältnis zu Fritz Jacobi in Düsseldorf mit sich bringen mußte.“ (Ebd.) Vgl. auch zu 169,13. 48 Bölling] Johann Caspar Bölling, Kaufmann in Frankfurt a. M. (vgl. zu 54,30).

 

 
 

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Zitierhinweis

Online-Edition:
GB 2, Nr 65 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), in: https://goethe-biographica.de/id/GB02_BR065_0.

Entspricht Druck:
Text: GB 2 I, S. 51–52, Nr 65 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.
Kommentar: GB 2 II, S. 133–138, Nr 65 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.

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