Goethes Briefe: GB 2, Nr. 243
An Johanna Fahlmer

Emmendingen , 〈5. Juni 1775. Montag〉 → Frankfurt a. M.


dancke herzlich liebe Tante für die Nachricht des herrlichen tragierens, und für ihren lezten mit den Sachen1. Ich bin sehr in der Lufft. Schlafen Essen Trincken Baden Reiten Fahren, war so ein paar ​2 tage her der seelige ​3 inhalt meines Lebens. Ihr Brief hat uns allen viel Freude gemacht, Sie habens sehr lebhafft gefühlt, und sehr dramatisch erzählt. Mir wars lieber als die Vorstellung ​4 selbst. Ich geh nach Schafhausen den Rheinfall zu sehen, mich in die grose Idee einzuwickeln. denn noch, fühl ​5 ich, ist der Hauptzweck meiner Reise verfehlt, und komm ich wieder, ists dem Bären schlimmer als vorher. Ich weis es wohl ich bin ein Thor, Allein drum bin ich s doch – und warum soll man auch das Lämpgen auslöschen, das einen so artig auf dem Weege des Lebens vorleuchtet u. dämmert. Adieu Tante grüsen Sie Friz. Pfingst Montag. Schreiben ​6 Sie mir nur nach Emmedingen, sagen Sie auch der Mama dass mir alles hierhergeschickt werde biss ich abschreibe.

G.


Grüsen Sie die Max recht viel von mir.

  1. s​Sachen​ ↑
  2. P​paar​ ↑
  3. seelich​ge​ ↑
  4. ×​Vorstellung​ ↑
  5. ×​fühl​ ↑
  6. ×​Schreiben​ ↑

Pfingst Montag (193,12) fiel 1775 auf den 5. Juni. Am 7. Juni besuchte Goethe, wie angekündigt (vgl. 193,6–7), den Rheinfall von Schaffhausen. Dass er dorthin gehe, hatte er schon im Brief an Carl Ludwig von Knebel vom 4. Juni (Nr 242) geschrieben.

H: Privatbesitz, Deutschland. – Doppelblatt 19,2 × 24,4 cm, 1 S. beschr., egh., Tinte; S. 3 Adresse: An / Mademoiselle Fahlmer / nach / Franckfurt / franco; darunter Siegel: Sokrateskopf (vgl. Femmel/Heres, 10); am rechten Seitenrand Papierverlust durch Öffnen des Siegels; S. 1 oben rechts quer geschr. von Johanna Fahlmers Hd, Tinte: „N ​r 2“ (vgl. Überlieferung zu Nr 240 und 241). – Faksimile: Morris, Goethes erste Schweizer Reise, 16.

E: Goethe-Fahlmer (1875), 83 f., Nr 31.

WA IV 2 (1887), 266 f., Nr 335 (nach E, mit korrigiertem Datum).

Der Brief beantwortet zwei nicht überlieferte Briefe Johanna Fahlmers (vgl. 193,1–2). – Ein Antwortbrief ist nicht bekannt.

Nachricht] Ein entsprechender Brief Johanna Fahlmers ist nicht überliefert.

tragierens] Gemeint ist die Aufführung von „Erwin und Elmire“, vermutlich durch ein Liebhabertheater (vgl. die erste Erläuterung zu 191,9). Goethe hatte in den beiden vorangegangenen Briefen an Johanna Fahlmer (Nr 240 und 241) um Nachrichten davon gebeten (vgl. 191,8–9; 191,17).

ihren lezten] Auch dieser Brief ist nicht überliefert.

Sachen] Nicht ermittelt.

die grose Idee] Mit Bezug auf Naturphänomene: sinnlicher „Eindruck, Anschauung, Vorstellungs-, vereinzelt auch Erinnerungsbild; 〈…〉 häufig als Zuwachs an Weltkenntnis“ (GWb 4, 1473).

Hauptzweck meiner Reise] Goethe meint den Versuch, durch die Schaffung von Distanz zur Klärung seiner Beziehung zu Anna Elisabeth Schönemann beizutragen. In Emmendingen hatte seine Schwester Cornelia, so berichtet Goethe im 18. Buch von „Dichtung und Wahrheit“, ihm auf das Ernsteste eine Trennung von Lilli empfohlen ja befohlen (AA DuW 1, 603).

dem Bären] Vgl. zu 192,9–10.

Friz] Friedrich Heinrich Jacobi.

Mama] Sophie La Roche, die von Goethe so genannt wurde, oder seine Mutter.

abschreibe] Abschreiben: „schriftl absagen, widerrufen“ (GWb 1, 154).

die Max] Maximiliane Brentano, Sophie La Roches Tochter.

 

 
 

Nutzungsbedingungen

Kontrollen

Kontrast:
SW-Kontrastbild:
Helligkeit:

Zitierhinweis

Online-Edition:
GB 2, Nr 243 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), in: https://goethe-biographica.de/id/GB02_BR243_0.

Entspricht Druck:
Text: GB 2 I, S. 193, Nr 243 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.
Kommentar: GB 2 II, S. 494–495, Nr 243 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.

Zurück zum Seitenanfang