Goethes Briefe: GB 2, Nr. 174
An Hieronymus Peter Schlosser

〈Frankfurt a. M. 〉, 26. Dezember 1774. Montag → 〈Frankfurt a. M.〉


Dancke lieber Hℓ. Bruder für die Poematia, die Lepores derselben haben mich mehr als iemals vergnügt, und mein Vater ob er gleich Ihre Stärcke in der lateinischen Poesie kannte, verwunderte ​1 sich doch ​2 höchlich über Ihre Stärcke in Liebeswercken. Hier schick ich die Supplick für Arnsteinen die ich mit nüchternem Munde so eben Dicktirt habe, seyn Sie so gütig und schreiben ihre Anmerck und Verbesserungen darneben, erinnern mich was ich etwa vergessen habe, denn der Wirbel kräuselt mir schon bey frühem Morgen das Köpfgen. Allein ich möchts gern nach Tisch wiederhaben! Sie sind doch so gütig. dafür banne Ihnen auch der deus Ludius die zwey schwarzen Ass diesen ganzen Abend in die Hände. Adieu. Si quid novi, melden Sie mirs. Alle Welt bedauert den armen deinet, dass Sie ihn so an ihren poetischen Triumpf Wagen angeschmiedet haben, und er nun nolens volens zur Ewigkeit hinten drein trotten muss. dℓ. 26 Dez. 1774.

G.

  1. verwü​underte​ ↑
  2. ⎡doch⎤​ ↑

H: GMD Düsseldorf, Slg Kippenberg, Sign.: K. K. 30. – Doppelblatt 18,4 × 22,9 cm, 1 S. beschr., egh., Tinte.

E: Frese (1877), 102 f.

WA IV 2 (1887), 220 f., Nr 272 (nach E; Hinweis auf H und Textkorrektur in den „Berichtigungen“, vgl. WA IV 50 [1912], 211).

Juristisches Schriftstück für Herrn Arnstein (vgl. zu 151,24–25).

Der Brief beantwortet die Übersendung von Schlossers „Poematia“; ein Begleitbrief ist nicht überliefert. – Ein Antwortbrief ist nicht bekannt.

Poematia] Hieronymi Petri Schlosseri 〈…〉 Poematia. Francofvrti ad Moenum apud Eichenbergios heredes. M. DCC. LXXV (Gedichtchen von Hieronymus Peter Schlosser. Frankfurt am Main bei den Reichenbergischen Erben).

Lepores] Lat. lepor: Anmut, feiner Humor.

Stärcke in Liebeswercken] Unter Schlossers Gedichten finden sich einige mit erotischem Charakter: „Virginitas III Id. Sept. MDCCLXIII. feliciter defensa“ (Poematia, S. 27–29. – Die am 3. Tag vor den Iden des September 〈11. September〉 1763 glücklich verteidigte Jungfräulichkeit), „De causis amissae III Calend. Octobris virginitatis (S. 30. – Über die Gründe für den Verlust der Jungfräulichkeit am 3. Tag vor den Kalenden des Oktober 〈29. September〉), „Ad amicum, excusatio quod ad coenam vocatus non venerim“ (S. 32 f. – An einen Freund, Entschuldigung dafür, dass ich, obwohl zum Essen geladen, nicht kommen werde), „Ad eundem, quum respondisset: ea se lege veniam daturum, si nomen puellae ederem“ (S. 33 f. – An denselben, nachdem er geantwortet hatte: er werde die Erlaubnis erteilen unter der Bedingung, dass ich den Namen des Mädchens nennen würde) u. a.

Supplick] Bittschrift, Gesuch (von lat. supplicium: Flehen). – Nicht überliefert.

Arnsteinen] Klient Goethes, über den Näheres nicht ermittelt werden konnte. – In den Rechtsanwaltsakten Goethes ist zu diesem Fall nichts überliefert. – Arnstein ist der Name einer bekannten jüdischen Familie aus Wien, von denen einige Mitglieder in Frankfurt ansässig waren (vgl. Alexander Dietz: Stammbuch der Frankfurter Juden. Goar 1907, S. 15 f.).

deus Ludius] Lat.: Gott Ludius, der Gott des Spiels (hier: des Kartenspiels); wohl Anspielung auf Schlossers Gedicht „De arte ludendi, fragmentum“ (Poematia, S. 86–93).

Si quid novi] Lat.: Wenn es etwas Neues gibt.

den armen deinet] Schlosser wendet sich am Schluss seines Büchleins (S. 93–96) mit einer lateinisch verfassten Rede an Johann Conrad Deinet, den Mitinhaber der Eichenbergischen Druckerei, in welcher er komische Betrachtungen darüber anstellt, warum er sich auf Drängen seiner Freunde entschlossen habe, dieses „Werkchen“, das wohl niemals einen Lorbeerkranz erringen werde, dem Publikum doch vorzulegen.

an ihren poetischen Triumpf Wagen angeschmiedet] Siegreiche römische Feldherren pflegten beim Triumphzug die Besiegten hinter ihrem Pferdegespann durch Rom zu führen. Hier übertragen auf Deinet, der durch Schlossers Schlussrede an dessen Büchlein ‚angeschmiedet‘ wurde.

nolens volens] Lat.: ob er will oder nicht; wohl oder übel.

 

 
 

Nutzungsbedingungen

Kontrollen

Kontrast:
SW-Kontrastbild:
Helligkeit:

Zitierhinweis

Online-Edition:
GB 2, Nr 174 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), in: https://goethe-biographica.de/id/GB02_BR174_0.

Entspricht Druck:
Text: GB 2 I, S. 151–152, Nr 174 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.
Kommentar: GB 2 II, S. 376–377, Nr 174 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.

Zurück zum Seitenanfang