Goethes Briefe: GB 2, Nr. 167
An Johann Daniel Salzmann

Frankfurt a. M. , 5. Dezember 1774. Montag → 〈Straßburg〉

〈Druck〉

Es ist auch wieder Zeit daß Sie einmal geradezu etwas von mir hören, daß ich Ihnen sage es gehe bei mir immer seinen alten Gang. Sie werden etwas gehört und gesehen haben daß ich nicht ganz unfleißig war, und werden künftig hoffentlich noch mehr hören und sehen. Sie haben nun wieder einen Landsmann von mir um sich. Wie läßt er sich an? Ich wette Sie sind um einen guten Theil besser mit ihm zufrieden als mit dem Bruder. Wie sich Lenz aufführt möcht' ich auch gern von Ihnen hören. Und nun gilts die Frage ob Ihre moralischen Abhandlungen auf Ostern sollen gedruckt werden. Ich finde unter meinen Papieren drei: über die Gemüthsbewegungen, Neigungen und Leidenschaften, über Tugend und Laster, und über Religion. Wollen Sie nun diese erst zur Durchsicht wieder zurück haben, so melden Sie es, ich schicke Sie Ihnen mit dem Postwagen. Haben Sie noch etwas dergleichen, so fügen Sie es dazu und es soll straks nach Leipzig. Melden Sie mir zugleich was Sie für Bedingungen gemacht wünschten. Und somit wäre das Büchelgen schon so gut als fertig und eingebunden. Schreiben Sie mir doch nächstens und glauben Sie daß es auch keine Sünde wäre, mir öfter zu schreiben, als Sie bisher gethan haben, um mich in meinen übrigen Schwärmereien wieder in die glücklichen Gegenden zurück zu ziehen, da wir so manche gute Stunde zubrachten.

Behalten Sie mich lieb, fahren Sie fort Anteil an mir und den meinigen zu nehmen und glauben Sie daß ich mich mit aller Wärme in Ihr gelbes Zimmer, an's Camin und zum Silen zurück denke.

​Goethe.

H: Kriegsverlust; bis 1870 Bibliothèque Municipale Strasbourg. – Nach E und D​1 Frankfurt 〈…〉 zubrachten. (144,23–145,17) von Schreiberhd, Schluss und Unterschrift egh. Vgl. GB 1 II, Überlieferung zu Nr 81.

h: Verbleib unbekannt (= h​1; vgl. GB 1 II, Überlieferung zu Nr 81).

E: Christian Moritz Engelhardt: Einige Briefe Goethes aus der Zeit seines Aufenthalts zu Straßburg und gleich darauf. In: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr 38 vom 13. Februar 1838, S. 149 f. (nach H).

D​1: Stöber (1853), 58 f., Nr 13 (nach H?, vgl. GB 1 II, Überlieferung zu Nr 81).

D​2: WA IV 2 (1887), 213 f., Nr 267 (nach D​1, Textkorrektur nach E in den „Berichtigungen“, vgl. WA IV 50 [1912], 210).

D​3: DjG​2 4 (1910), 152 f., Nr 279 (nach E und D​1).

Textgrundlage: E. – Ein Vergleich der Textzeugen E (nach H) und D​1 (möglicherweise nach H) zeigt, dass E der Handschrift näher steht als D​1; vgl. GB 1 II, Überlieferung und Überlieferungsvarianten zu Nr 82 und 85 sowie WA IV 50, 210, zu Nr 267.

gilts] gilt's ​D​1 Leidenschaften,] Leidenschaften; ​D​1      schicke Sie] schicke sie ​D​1 straks] stracks ​D​1 wünschten] wünschen ​D​1 glücklichen] glückligen ​D​1

Ein Bezugs- und ein Antwortbrief sind nicht bekannt.

wieder Zeit] Der letzte überlieferte Brief Goethes an Salzmann stammt von Oktober 1773 (Nr 63).

daß ich nicht ganz unfleißig war] Zu den seit Oktober 1773 entstandenen Werken gehören: die Farce „Götter Helden und Wieland“ (erschienen März 1774), das Trauerspiel „Clavigo“ (erschienen Juli 1774), der Roman „Die Leiden des jungen Werthers“ (anonym erschienen September, ausgeliefert zur Herbstmesse Anfang Oktober 1774), der Schwank „Jahrmarktsfest zu Plundersweilern“ (erschienen Herbst 1774) sowie zahlreiche Gedichte, unter ihnen „Ganymed“ (entstanden vermutlich im Frühjahr 1774, erschienen 1789), „An Schwager Kronos“ (entstanden Herbst 1774, erschienen 1789) und „Prometheus“ (entstanden vermutlich Herbst 1774, erschienen 1789).

einen Landsmann von mir] Möglicherweise handelt es sich um den Komponisten Philipp Christoph Kayser aus Frankfurt, einen Jugendfreund Friedrich Maximilian Klingers. Vgl. C〈arl〉 A〈ugust〉 H〈ugo〉 Burkhardt: Goethe und der Komponist Ph. Chr. Kayser. Leipzig 1879, S. 2, Anm. 2. – Kayser ging 1775 als Musiklehrer nach Zürich.

Bruder] Damit meint Goethe sich selbst.

Lenz] Jakob Michael Reinhold Lenz; vgl. die erste Erläuterung zu 13,5. Er war im Frühjahr 1771 nach Straßburg gekommen und lebte dort seit Herbst 1774 als freier Schriftsteller.

Ihre moralischen Abhandlungen] Salzmanns Sammelband: Kurze Abhandlungen über einige wichtige Gegenstände aus der Religions- und Sittenlehre. Frankfurt a. M. 1776.

über die Gemüthsbewegungen 〈…〉 über Religion] Alle drei Aufsätze erschienen in dem genannten Sammelband: „Abhandlung über Gemüthsbewegungen, Neigungen und Leidenschaften“ (S. 95–122), „Abhandlung über Tugend und Laster“ (S. 71–94) und „Abhandlung über die Religion“ (S. 123–152).

an's Camin] An Salzmanns Kamin erinnerte sich Goethe auch in Nr 63 (50,13–14).

Silen] Silene, in der antiken Mythologie ein zweibeiniges Mischwesen aus Mensch und Pferd in Begleitung des Dionysos; häufig dargestellt mit komischen Zügen (glatzköpfig, dickbäuchig, stumpfnasig). Hier ist vielleicht der Abguss einer antiken Plastik in Salzmanns Besitz gemeint.

 

 
 

Nutzungsbedingungen

Kontrollen

Kontrast:
SW-Kontrastbild:
Helligkeit:

Zitierhinweis

Online-Edition:
GB 2, Nr 167 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), in: https://goethe-biographica.de/id/GB02_BR167_0.

Entspricht Druck:
Text: GB 2 I, S. 144–145, Nr 167 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.
Kommentar: GB 2 II, S. 363–364, Nr 167 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.

Zurück zum Seitenanfang