Goethes Briefe: GB 2, Nr. 135
An Johann Caspar Lavater

〈Frankfurt a. M. , zwischen 13. und 15. August 1774〉 → Zürich


Kriegst diesen Brief statt durch Meyern durch mich. Schreibe nur ein Wort. Ich habe mein Schifflein abermal geflickt und wag's weiter. Habe gute Tage genossen in Ems u. Coblenz. Auch mit Bas. der mit mir herkommen ist. Schreib mir kürzlich von deiner Reise. Grüs Pf. u. Pass. Sie sollen was von sich hören lassen. Bas. kommt zu euch auf Pf. Brief. Mögt du Ruhe finden nur so viel als nötig ist, dir deine Reise zu fruchten. Grüs die Fr Schulthes1. u dein Weib. Adieu. Schick mir mit Messgelegenheit all meine Schreibereyen zurück.

  1. s​Schulthes​ ↑

Lavater hatte am 27. Juli von Ems aus die Heimreise in die Schweiz angetreten. Goethe war mit Basedow noch bis zum 12. August dort geblieben und am 13. wieder in Frankfurt eingetroffen (vgl. 111,21). Dort wurde der Brief geschrieben. Da Goethe noch nicht auf die am 16. August im „Journal. In Frankfurt am Mayn“ erschienene Anzeige von Lavaters Schrift gegen Grebel (vgl. Nr 139) eingeht, stammt der vorliegende Brief aus der Zeit zwischen dem 13. und 15. August 1774.

H: Zentralbibliothek Zürich, Sign.: FA Lavater Ms. 533, Nr 217. – Doppelblatt 23 × 19 cm, S. 1–4 Brief Johann Georg Zimmermanns vom 11. August 1774 an Lavater; S. 4 Brief Goethes: Zimmermanns Brief zum Kuvert gefaltet, durch Oblate verschlossen: Vs. Adresse von Zimmermanns Hd: „An Herrn / Herrn Lavater / Diaconus bey dem Way- / senhauße / in Zürich.“; Rs. Brief Goethes.

E: Goethe-Lavater​3 (1901), 35 f., Nr 23.

WA IV 30 (1905), 5, Nr 240a (nach E; Hinweis auf H in den „Berichtigungen“, WA IV 50 [1912], 210).

Ein Bezugs- und ein Antwortbrief sind nicht bekannt. Lavaters nächster überlieferter Brief vom 7. September 1774 geht weder auf den vorliegenden noch auf den folgenden Brief Goethes (Nr 139) ein (vgl. RA 1, 57, Nr 33; Goethe-Lavater​3, 36–38, Nr 25).

diesen Brief] Brief Johann Georg Zimmermanns an Lavater (vgl. Überlieferung).

Meyern] Kammersekretär in Hannover (vgl. zu 93,1); er hatte den Brief ursprünglich besorgen sollen. Meyer und seine Frau waren in Ems mit Lavater und Goethe zusammengetroffen (vgl. Nr 124).

in Ems u. Coblenz] Von Ems aus (vgl. Datierung) reiste Goethe am 2. August zu einem Besuch bei Sophie La Roche nach Ehrenbreitstein bei Koblenz (vgl. Nr 133); an das Emser Badeleben erinnert er sich im 14. Buch von „Dichtung und Wahrheit“: Es ward unmäßig getanzt, und weil man sich in den beyden großen Badehäusern ziemlich nahe berührte, bey guter und genauer Bekanntschaft, mancherley Scherz getrieben. 〈…〉 An Abend- Mitternacht- und Morgenständchen fehlte es auch nicht, und wir Jüngeren genossen des Schlafs sehr wenig. (AA DuW 1, 509.)

Bas.] Johann Bernhard Basedow. – Über den Umgang mit ihm in Ems heißt es in „Dichtung und Wahrheit“: Im Gegensatze zu diesen Zerstreuungen 〈vgl. die vorhergehende Erläuterung〉, brachte ich immer einen Theil der Nacht mit Basedow zu. Dieser legte sich nie zu Bette, sondern dictirte unaufhörlich. 〈…〉 Dieß alles geschah in einem dichtverschlossenen, von Tabacks- und Schwammdampf erfüllten Zimmer. So oft ich nun einen Tanz aussetzte, sprang ich zu Basedow hinauf, der gleich über jedes Problem zu sprechen und zu disputiren geneigt war, und, wenn ich nach Verlauf einiger Zeit wieder zum Tanze hineilte, noch eh ich die Thüre hinter mir anzog, den Faden seiner Abhandlung so ruhig dictirend aufnahm, als wenn weiter nichts gewesen wäre. (Ebd.)

Schreib mir kürzlich von deiner Reise.] Lavater traf Mitte August wieder in Zürich ein. Seine Rückreise von Ems führte ihn über Frankfurt, wo er vom 29. Juli bis zum 1. August bei Goethes Eltern zu Gast war, von dort weiter über Offenbach, Hanau, Darmstadt, Mannheim, Speyer, Karlsruhe, Stuttgart (wo er am 12. August die Carlsschule besuchte, zu deren Schülern damals Schiller gehörte) und Schaffhausen (vgl. Bach, Dokumente, 218). Ein entsprechender Brief Lavaters an Goethe ist nicht bekannt.

kürzlich] Kurz, knapp.

Pf. u. Pass.] Johann Conrad Pfenninger und Jacob Ludwig Passavant.

Bas. kommt zu euch] Einem Bericht von Basedows Reisebegleiter Friedrich August Benzler ist zu entnehmen, dass Lavater Basedow abriet, in die Schweiz zu kommen; er befördere seinen Plan, ein Philanthropinum (das Ende 1774 in Dessau gegründet wurde) einzurichten, besser durch Briefe als durch seine Gegenwart (vgl. Bach, Dokumente, 183). Wahrscheinlich fürchtete Lavater, die Persönlichkeit Basedows werde den Plänen eher hinderlich sein, als sie befördern. So berichtet Benzler: „Basedows Äusseres und Benehmen hatte für viele etwas Anstössiges, besonders in munterer Gesellschaft, wo er sich leicht vergass.“ (Ebd.) Basedow, so beschrieb ihn Goethe später im 14. Buch von „Dichtung und Wahrheit“, viel zu sehr in sich gedrängt, konnte nicht auf sein Aeußeres merken. Schon daß er ununterbrochen schlechten Taback rauchte, fiel äußerst lästig (AA DuW 1, 508). Es konnte geschehen, dass er ohne das mindeste Gefühl wo er sich befinde, in die wunderlichsten Reden ausbrach, in seinem Sinne höchst religiös, nach Ueberzeugung der Gesellschaft höchst lästerlich. (AA DuW 1, 510.) Auch Sophie La Roche nahm Anstoß an Basedows Unsauberkeit und seinen wüsten Reden gegen die katholische Kirche (vgl. Bach, Dokumente, 172 und 217 f.).

Pf. Brief] Pfenningers Brief ist nicht überliefert.

Fr Schulthes] Barbara (Bäbe) Schultheß geb. Wolf, mit Lavater befreundete Ehefrau des Zürcher Kaufmanns und Hauptmanns David Schultheß; Lavater beschreibt sie in einem Brief an Herder vom 7. Oktober 1775: „Frau Schulthess ist kurz und gut – eine Männin. Sie spricht fast nichts, und fühlt nur ohne wortgepränge. Sie ist nicht schön und nicht fein gebildet. Nur stark und fest, ohne Grobheit. Sie ist streng und stolz – unausgebreitet; eine trefliche Frau; eine herrliche Mutter. Ihr Schweigen ist belehrende Kritik. Sie ist mir warnerinn und Stab ….. Sie ist mir nur durch Schweigen nützlich; Sie empfängt nur und giebt mir nicht – aus wahrer demuth und – wahrem Stolz.“ (H: GSA 44/68; vgl. auch Aus Herders Nachlaß 2, 147.) Goethe lernte sie auf seiner Schweizer Reise 1775 kennen und trat mit ihr gleichfalls in eine freundschaftliche Beziehung.

dein Weib] Anna Lavater geb. Schinz.

mit Messgelegenheit] Gemeint ist ein Transport aus Anlass der Leipziger Herbstmesse.

meine Schreibereyen] Im Emser Tagebuch Lavaters sind folgende unveröffentliche Schriften Goethes aufgeführt, die Lavater zur Lektüre erhalten hatte: „Die Leiden des jungen Werthers“ (vgl. zu 84,7); „Etwas von Goethes Satyren“ (7. Juli [Goethe-Lavater​3, 296]: wohl das „Neueröfnete moralisch-politische Puppenspiel“ mit „Prolog“ [Auf Adler dich zur Sonne schwing], „Des Künstlers Erdewallen“, „Jahrmarktsfest zu Plundersweilern“ und „Fastnachtsspiel 〈…〉 vom Pater Brey“); „Beylage aus einer Opperette“ (12. Juli [Goethe-Lavater​3, 296]; gemeint ist das Singspiel „Erwin und Elmire“, aus dem Goethe am 20. Juli vorlas [vgl. Goethe-Lavater​3, 313]); „Aufsatz von Goethe über das, was man ist“ (15. Juli [Goethe-Lavater​3, 298], nur in Bruchstücken in Lavaters Tagebuch überliefert [vgl. Goethe-Lavater​3, 298 und 300; DjG​3 4, 188]); „Arianne an Wetty“ (16. Juli [Goethe-Lavater​3, 299], Fragment in Briefen [vgl. DjG​3 3, 75]). Der mehrfach erwähnte „Clavigo“ war gerade Mitte Juli erschienen.

 

 
 

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Zitierhinweis

Online-Edition:
GB 2, Nr 135 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), in: https://goethe-biographica.de/id/GB02_BR135_0.

Entspricht Druck:
Text: GB 2 I, S. 112, Nr 135 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.
Kommentar: GB 2 II, S. 296–298, Nr 135 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.

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