Goethes Briefe: GB 2, Nr. 115
An Heinrich Christian Boie

〈Frankfurt a. M. 〉, 4. Juni 1774. Samstag → 〈Göttingen〉


Ich habe einen Brief von Schönborn, vom 16 Apr. aus Algier, der mich sehr gefreut hat. Er enthält eine umständliche Beschreibung seiner Reise und des was für mich merckwürdig seyn konnte.

Der Hℓ. Ziegler hat noch keine Anweisung das Geld quaest. zu zahlen. Auch bitt ich sie mir zu melden: was von dieser Summe für Götz ist? denn das ist alleine mein, wie das übrige allein Mercken gehört.

Ich begreiffe nicht wie Wiel. sich über die Farce so ungebärdig stellen konnte.

Dass ich eine Schandschrifft auf die Jakobi gefertigt habe ist wahr, allein gedruckt ​1 ist sie nicht, soll auch nie aus meinen Händen kommen. Wie denn die Farce nie gedruckt worden wäre, wenn ich sie nicht Freunden kommunizirt hätte.

Von kleinen Sachen hab ich gar nichts, und was ich habe ist so ungezogen, dass es sich in Taschenformat und verguldt aufm Schnitt nicht darf sehn lassen. / Was ich sonst gefertigt habe will ich ehstens in's Publikum sprengen

Schreiben Sie mir doch wie das Stück ​der Hofmeister ein Lustspiel aufgenommen worden.

Leben Sie wohl, und wenn Ihre Freunde was auszeichnendes produziren, lassen Sie mich auch Theil dran nehmen.

am 4 Juni 1774.

Goethe.

  1. aus​gedruckt​ ↑

H: GSA Weimar, Sign.: 29/105,I. – 1 Bl. 11,6(–11,8) × 19,2 cm, 1 ⅓ S. beschr., egh., Tinte.

E: Karl Drescher: Ein Brief Goethes aus dem Jahre 1774. In: GJb XXV (1904), 208 f.

WA IV 30 (1905), 4 f., Nr 222a.

Der Brief beantwortet möglicherweise einen nicht überlieferten Brief Boies (vgl. zu 91,5). – Der Antwortbrief, für den sich Goethe am 22. Juni 1774 bedankt (vgl. 94,10–12), ist nicht überliefert.

Brief von Schönborn] Der auch in Nr 113 erwähnte Brief von Gottlob Friedrich Ernst Schönborn (vgl. 89,9) ist nicht überliefert. Über Schönborn vgl. die einleitende Erläuterung zu Nr 123.

umständliche] Umständlich: hier in der im 18. Jahrhundert noch gebräuchlichen Bedeutung ,ausführlich‘.

des] Dessen.

merckwürdig] Hier noch im Wortsinn: „würdig, oder werth, gemerket, d. i. im Gedächtnisse behalten zu werden“ (Adelung 3, 183).

Ziegler] Weit verzweigte Familie von Frankfurter Handelsleuten, deren Hauptsitz Haus Hohenfels Unter der Neukräm Nr 10 war; die dort ansässige Firma „Christian Ziegler & Söhne“ handelte mit Manufakturwaren, Holz und Salz und betrieb Bank- und Wechselgeschäfte. Sie bestand bis zum Tod Christian Zieglers (III.) im Jahr 1792. Vgl. Dietz, Bürgerbuch, 100; Dietz, Handelsgeschichte 4 II, 312 f. und 435.

das Geld quaest.] ‚Das Geld quaestionis‘: das in Frage stehende Geld (lat. quaestio: Frage; gerichtliche Untersuchung). Es betraf den Erlös aus dem Verkauf des „Götz von Berlichingen“ und, wie aus dem folgenden Satz hervorzugehen scheint, weiterer von Goethe und Johann Heinrich Merck im Selbstverlag herausgegebener Schriften (vgl. zu 35,13–14). Dies wird durch Boies Brief an Merck vom 8. September 1775 bestätigt: „Dietrich hat so wenig von den Fragen als der Rhapsodie was verkauft 〈…〉.“ (Dreihundert Briefe aus zwei Jahrhunderten. Hrsg. von Karl von Holtei. Bd 1. Hannover 1872, S. 45. – Gemeint ist der Göttinger Verlagsbuchhändler Dieterich [vgl. die zweite Erläuterung zu 35,6]; bei den Schriften handelt es sich um Goethes „Zwo wichtige bisher unerörterte Biblische Fragen“ und Mercks „Rhapsodie von Johann Heinrich Reimhart, dem Jüngern“.)

Ich begreiffe nicht 〈…〉 ungebärdig stellen konnte.] Gemeint ist Wielands private Reaktion auf Goethes Farce „Götter Helden und Wieland“; vgl. zu 89,21.

Schandschrifft auf die Jakobi] Die dramatische Satire „Das Unglück der Jacobis“ war im September 1772 entstanden. Laut Goethes eigener Aussage in einem Gespräch mit Johanna Fahlmer vom 6. oder 7. Mai 1774 wurde darin den Brüdern Johann Georg und Friedrich Heinrich Jacobi wegen ihrer Frömmelei und Empfindsamkeit „lästerlich mitgespielt“ (JB I 1, 231). Johanna Fahlmer zufolge kannten nur Sophie La Roche, Merck und Herder die Schrift (vgl. ebd.), die nicht überliefert ist. Allerdings berichtet Ludwig Julius Friedrich Höpfner in einem Brief an Rudolf Erich Raspe vom 23. April 1774, Goethe habe ihm die Satire bei einem Besuch in Frankfurt vorgelesen: „Die beyden Jacobi werden darin wacker gepeitscht. Göthe und Merck speyen vor den Kerls aus, so wie wir.“ (BG 1, 240.) Carl Ludwig von Knebel schreibt in einem Brief an Friedrich Justin Bertuch vom 23. Dezember 1774, Goethe habe ihm gegenüber über das Stück geäußert, „daß es das böste seye, was er in dieser Art gemacht habe“, und weiter: „Nun wartet er 〈Goethe〉 bis Jacobi nach Frankfurth kommt; dem muß er es vorlesen, und dann will er es zerreißen.“ (BG 1, 309.)

Wie denn die Farce 〈…〉 kommunizirt hätte.] Nach Goethes Darstellung in „Dichtung und Wahrheit“ hat er das Manuskript von „Götter Helden und Wieland“ an Jakob Michael Reinhold Lenz gegeben, der die Farce drucken ließ (vgl. zu 76,12). In Nr 123 heißt es dagegen: Auf Wielanden hab ich ein schändlich ding drucken lassen (96,9).

Von kleinen Sachen hab ich gar nichts] Mit diesem Hinweis scheint Goethe auf eine Bitte Boies um Beiträge für seinen Göttinger „Musen Almanach“ auf das Jahr 1775 zu antworten.

in Taschenformat und verguldt aufm Schnitt] Der Göttinger Musenalmanach erschien in Duodezformat (etwa 7 × 10,5 cm) und mit Goldschnitt. Um Boie einen Gefallen zu tun, griff Goethe auf zwei bereits im „Wandsbecker Bothen“ erschienene Gedichte zurück: „Ein Gleichniß“ (Ueber die Wiese 〈…〉) und „Da hatt ich einen Kerl zu Gast 〈…〉“ (vgl. 99,26 rechte Spalte–100,14 rechte Spalte; auch zu 45,10). Auch von den kleinen Sachen scheint Goethe etwas geschickt zu haben (vgl. zu 96,18–19).

Was ich sonst gefertigt habe] „Die Leiden des jungen Werthers“ und „Clavigo“ (vgl. 94,20–21; 95,24–96,8).

​der Hofmeister] Die „Komödie“ von Jakob Michael Reinhold Lenz war zur Leipziger Ostermesse erschienen, die 1774 am 24. April begann.

Ihre Freunde] Gemeint sind wohl die Mitglieder des Göttinger Hainbundes und die Beiträger von Boies Almanach; am Almanach für 1774 arbeiteten u. a. Gottfried August Bürger, Friedrich Wilhelm Gotter, Ludwig Heinrich Hölty, Friedrich Gottlieb Klopstock, Johann Martin Miller, Gottlieb Conrad Pfeffel, Klamer Eberhard Karl Schmidt, Christian und Friedrich Leopold zu Stolberg und Johann Heinrich Voß mit.

 

 
 

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Zitierhinweis

Online-Edition:
GB 2, Nr 115 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), in: https://goethe-biographica.de/id/GB02_BR115_0.

Entspricht Druck:
Text: GB 2 I, S. 90–91, Nr 115 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.
Kommentar: GB 2 II, S. 249–251, Nr 115 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.

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