Goethes Briefe: GB 2, Nr. 111
An Sophie La Roche

〈Frankfurt a. M. , zwischen 10. und 13.? Mai 1774〉 → 〈Ehrenbreitstein bei Koblenz〉


Ich habe Ihren Brief geküsst und an mein Herz gedruckt. Es sind meine ein-innige Gefühle. Ja liebe Mama es ist wahr Feuer das leuchtet und wärmt nennt ihr Seegen von Gott, das verzehrt – nennt ihr Fluch! Seegen denn und Fluch! – binn ich euch mehr schuldig als die Natur ​1 mir schuldig zu seyn glaubte, leuchtets nicht mir, wärmts nicht – und verzehrt auch —— Nennen Sie mich bös, und lieben sie mich.

Un livre crojez moi n'est pas fort dangereux.

das Gute und das Bose, rauscht von den Ohren vorbey die nicht hören. Und ist das Böse nicht gut und das gute nicht bös? Hass ich Wielanden, lieb ich ihn? ​2 es ist wahrhafftig all eins – ich nehm Anteil an ihm ——

  1. n​Natur​ ↑
  2. ihn ​?​ ↑

Der vorliegende Brief ist die Antwort auf einen nicht überlieferten Brief Sophie La Roches mit dem Wort vom Herzen (86,12), das sich Goethe im Brief vom 7. oder 8. Mai 1774 (Nr 109) erbeten hatte. Wenn Sophie La Roche diesen Wunsch rasch erfüllt und Goethe unmittelbar nach Erhalt des Bezugsbriefes geantwortet hat, ist für den vorliegenden Brief ein Datum wenige Tage nach dem 7. oder 8. Mai anzunehmen. Hans Böhm geht von drei bis fünf Tagen aus (vgl. Böhm [1973], 264); demnach wäre der Brief auf die Zeit zwischen dem 10. und 13. Mai 1774 zu datieren.

H: GSA Weimar, Sign.: 29/294,I, Bl. 8. – 1 Bl. 19 × 22,7 cm, 1 S. beschr., egh., Tinte (stark verlaufen), sorgfältig geschrieben; Bl. am oberen Rand rechts ausgerissen.

E: Goethe-La Roche (1879), 44.

WA IV 2 (1887), 164, Nr 224 (Textkorrekturen in den „Berichtigungen“; vgl. WA IV 50 [1912], 209).

Der Brief beantwortet einen nicht überlieferten Brief Sophie La Roches (vgl. 87,12). – Der Antwortbrief, den Goethe vermutlich mit Nr 114 erwidert, ist nicht überliefert.

ein-innige] Das Adjektiv – im Sinne von „zutiefst gleich empfunden, im Innersten übereinstimmend“ (GWb 2, 1472) – begegnet in Goethes Briefen nur hier.

Feuer das leuchtet 〈…〉 verzehrt auch] Anspielung auf Wielands Rezension des „Götz von Berlichingen“ im „Teutschen Merkur“; dort heißt es: „Genie, Wissenschaft, gutes Herz! dies ist just als ob jemand Feuer im Busen trüge, das kann nicht lange verborgen bleiben!“ (6. Bd. 3. Stück. Juni 1774, S. 323.)

Nennen Sie mich bös] Wieland schreibt in seiner Rezension: „〈…〉 warum sollte ein böser Mensch 〈…〉 nicht eben sowohl ein gutes Werk schreiben können 〈…〉?“ (Ebd., S. 321.)

Un livre 〈…〉 dangereux.] Franz.: Ein Buch, glauben Sie mir, ist nicht sehr gefährlich. – Der Vers stammt aus Voltaires Gedicht „Les systêmes“, das in der Gedichtsammlung „Les systemes et les cabales, avec des notes instructives“ (Nouvelle édition, corrigée & augmentée. London 〈recte: Genf〉 1772, S. 7) erschienen war. In den FGA (1772, Nr 67 vom 21. August, S. 532 f.) war in einer Rezension dieser Sammlung u. a. auch der vorliegende Vers zitiert worden (vgl. S. 533); Rezensent war Johann Heinrich Merck (vgl. Bräuning-Oktavio, FGA 1772, 668 f.).

das Gute 〈…〉 nicht bös?] Erneut Bezugnahme auf Wielands Rezension im „Teutschen Merkur“; dort heißt es am Schluss, Goethe sei ein Mann, „dessen Philosophie auf den Grundsatz das Böse sey gut, und das Gute, böse, das Schöne, häßlich, und das Häßliche, schön, – gebaut ist“ (6. Bd. 3. Stück. Juni 1774, S. 333).

 

 
 

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Zitierhinweis

Online-Edition:
GB 2, Nr 111 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), in: https://goethe-biographica.de/id/GB02_BR111_0.

Entspricht Druck:
Text: GB 2 I, S. 87, Nr 111 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.
Kommentar: GB 2 II, S. 242–243, Nr 111 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.

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