Goethes Briefe: GB 2, Nr. 272
An Philipp Erasmus Reich

〈Frankfurt a. M. , Ende Oktober 1775〉 → Leipzig


Für die lezte schnelle Besorgung der Vignetten dancke ergebenst. dürft ich Sie bitten, Sich ​1 um nachfolgende Hamanische Schrifften zu bemühen, und solche, oder was Sie ​2 davon auftreiben an meine gewöhnliche Adresse nach Franckfurt mit ​3 dem Postwagen zu schicken, und meine Schuld zu notiren.

1) Wolcken ein Nachspiel sokr. Denckwürdigk.
2.) Hirtenbrief über das Schuldrama
3) Essai a la Mosaique
4) Schrifftsteller und Kunstrichter ​4
5.) Schrifftsteller und Leser.
6.) des Ritters v. Rosenkreuz lezte Willens meynung über den Urspr. der Sprache
7.) Zwo Rezensionen Nebst einer Beylage.
8.) Beylage zun Denckwürdigk. des seeℓ. Sokr.
9.) Brief der Hexe von Kadmonbor.
10.) Lettre perdue d'un Sauvage du Nord a un Financier de Pe-Kim.
11.) Lettre provinciale neologique d'un Humaniste au Torrent de Kerith.

Sie verbinden dadurch Ihren allzeit

ergebensten Dr Goethe

  1. s​Sich​ ↑
  2. s​Sie​ ↑
  3. zu mit​ ↑
  4. Kunstrr​ichter​ ↑

Aus der Differenz zwischen Absende- und Empfangsdatum von Goethes Briefen an Reich geht hervor, dass deren Beförderung von Frankfurt nach Leipzig normalerweise drei bis fünf Tage in Anspruch nahm (vgl. u. a. Überlieferung zu Nr 197 und 217). Wenn es sich bei der Notiz Reichs auf dem vorliegenden Brief, den 2. November 1775 betreffend (vgl. Überlieferung), um einen Empfangsvermerk handelt, ist der Brief wohl zwischen dem 28. und 30. Oktober 1775 geschrieben worden. Ist aber Reichs Angabe vom 29. November 1777 korrekt, er habe Nr 1, 3, 4 und 8 der von Goethe erbetenen Bücher im Oktober 1775 nach Frankfurt geliefert (vgl. zu 224,6), dann könnte die Notiz des Empfängers (wie bei Nr 178) ein Erledigungsvermerk sein, und Reich muss den Brief früher erhalten haben, spätestens am 31. Oktober. Unter dieser Voraussetzung würde der Brief aus der Zeit zwischen dem 26. und 28. Oktober stammen. In jedem Fall lässt er sich auf Ende Oktober 1775 datieren.

H: UB Leipzig, Slg Hirzel, Sign.: B 59. – Doppelblatt 19,2 × 23 cm, 1 S. beschr., egh., Tinte; S. 3 Adresse: Herrn / Buchhändler Reich / nach / Leipzig / franck.; unter der Adresse Initialsiegel: „G“; S. 4 quer geschr. Empfangs- oder Erledigungsvermerk (vgl. Datierung): „1775. 2. 9bℓ 〈November〉 Ffurth. / Goethe“; Bl. 2 am Rand in der Mitte beschädigt durch Herausschneiden des Siegels. Im Brieftext sind von den bestellten Buchtiteln die Nummern 1, 3, 4 und 8 mit einem Schrägstrich in roter Tinte durchgestrichen, vielleicht von Reich als Erledigungsvermerk.

E: Goethes Briefe an Leipziger Freunde (1849), 226, Nr 12.

WA IV 2 (1887), 303 f., Nr 364 (Korrektur des Datums in den „Lesarten“, vgl. WA IV 2, 336).

Der Brief bezieht sich auf die Zusendung der Vignetten, um die Goethe am 29. August 1775 gebeten hatte (vgl. Nr 258); ein Begleitbrief ist nicht überliefert. – Ein Antwortbrief ist nicht bekannt.

Besorgung der Vignetten] Vgl. Nr 258.

nachfolgende Hamanische Schrifften] Folgende Nummern der Liste mit Werken von Johann Georg Hamann fanden sich in Goethes Bibliothek: Nr 2, 3, 4, 6, 7 und 8 (vgl. Ruppert, 132–134, Nr 938, 936, 945, 948, 943, 933). Vier Nummern (Nr 1, 3, 4, 8) sind in einer Bücherrechnung Reichs für Goethe vom 29. November 1777 (H: GSA 34/II,2,1 [Nr 31]) aufgeführt; als Liefermonat wird der Oktober 1775 angegeben. Nach Goethes Brief an Reich vom 8. November 1775 (WA IV 3, 1, Nr 366) waren die Bücher jedoch zu diesem Zeitpunkt noch nicht eingetroffen. Die genannten vier Nummern sind von Reich in H mit einem roten Strich am Zeilenanfang durchgestrichen worden (vgl. Überlieferung). – Bei den genannten Titeln handelt es sich um folgende Werke Hamanns: 1) Wolken. Ein Nachspiel Sokratischer Denkwürdigkeiten. Cvm notis variorvm in vsvm Delphini. Altona 1761. – 2) Fünf Hirtenbriefe das Schuldrama betreffend. o. O. 1763. – 3) Essais à la mosaique. o. O. 〈Königsberg〉 1762. – 4) Schriftsteller und Kunstrichter; geschildert in Lebensgröße, von einem Leser, der keine Lust hat Kunstrichter und Schriftsteller zu werden. Nebst einigen andern Wahrheiten für den Herrn Verleger, der von nichts wuste. 〈Königsberg〉 1762. – 5) Leser und Kunstrichter nach perspectivischem Unebenmaaße. o. O. 〈1762〉. – 6) Des Ritters von Rosencreuz letzte Willensmeynung über den göttlichen und menschlichen Ursprung der Sprache. 〈Könisgberg〉 1770. – 7) Zwo Recensionen nebst einer Beylage, betreffend den Ursprung der Sprache. 〈Königsberg〉 1772. – 8) Beylage zun 〈sic〉 Denkwürdigkeiten des seligen Sokrates. Von einem Geistlichen in Schwaben. 2. Aufl. Halle 〈recte: Leipzig〉 1773. – 9) An die Hexe zu Kadmonbor. Berlin 1773. – 10) Lettre perdue d'un Sauvage du Nord à un Financier de Pe-Kim. o. O. 1773 (auch: Amsterdam 1773. – Verlorener Brief eines Wilden aus dem Norden an einen Finanzier von Pe-Kim); vgl. Johann Georg Hamann: Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe von Josef Nadler. Bd 2: Schriften über Philosophie/Philologie/Kritik. Wien 1950, S. 419 f. – 11) Lettre néologique & provinciale sur l'inoculation du bon sens. o. O. 〈A Bedlam; recte: Königsberg〉 1761 (Neologischer Brief aus der Provinz über die Einpfropfung der gesunden Vernunft [nach Antoinette Fink-Langlois in: Johann Georg Hamann und Frankreich. 〈…〉 Hrsg. von Bernhard Gajek. Marburg 1987, S. 65]); in 2. Auflage erschienen in den „Essais à la mosaique“ (Nr 3) ; vgl. Johann Georg Hamann: Sämtliche Werke. Bd 2, S. 415 f. – Goethe war mit Johann Georg Hamann, dem Königsberger Sprach- und Religionsphilosophen und Wegbereiter des Sturm und Drang, weder persönlich noch durch Korrespondenz bekannt. Er wurde durch Herder, Hamanns Schüler und Freund, auf das Werk dieses würdigen einflußreichen Mannes aufmerksam gemacht, den er im 12. Buch von „Dichtung und Wahrheit“ den ​Magus aus Norden nennt: Man ahndete hier einen tiefdenkenden gründlichen Mann, der mit der offenbaren Welt und Literatur genau bekannt, doch auch noch etwas Geheimes, Unerforschliches gelten ließ, und sich darüber auf eine ganz eigne Weise aussprach. Von denen die damals die Literatur des Tags beherrschten, ward er freylich für einen abstrusen Schwärmer gehalten, eine aufstrebende Jugend aber ließ sich wohl von ihm anziehn. (AA DuW 1, 424 und 424 f.; vgl. auch WA I 28, 105, 106, 107.) Nach eigener Angabe besaß Goethe über die im vorliegenden Brief erbetenen Werke hinaus eine meist vollständige Sammlung seiner 〈Hamanns〉 Schriften (AA DuW 1, 425). Wie sehr Goethe Hamann schätzte, geht daraus hervor, dass er bei Lektüre von dessen Werken in späterer Zeit jedesmal eine vollständige Ausgabe zu wünschen nicht unterlassen konnte (Tag- und Jahres-Hefte 1806; WA I 35, 261) und beabsichtigte, eine Herausgabe der Hamanschen Werke entweder selbst zu besorgen, oder wenigstens zu befördern (AA DuW 1, 425; vgl. auch WA I 28, 108).

 

 
 

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Zitierhinweis

Online-Edition:
GB 2, Nr 272 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), in: https://goethe-biographica.de/id/GB02_BR272_0.

Entspricht Druck:
Text: GB 2 I, S. 224, Nr 272 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.
Kommentar: GB 2 II, S. 562–564, Nr 272 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.

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