BuG:BuG I, A 460
Frankfurt Mitte Sept. 1775

Dichtung und Wahrheit XIX (WA I 29, 158)

Frankfurt Mitte Sept. 1775

Die Messe kam, und so erschien der Schwarm jener Gespenster in ihrer Wirklichkeit; alle Handelsfreunde des bedeutenden Hauses kamen nach und nach heran, und es offenbarte sich schnell, daß keiner einen gewissen Antheil an der liebenswürdigen Tochter völlig aufgeben wollte noch konnte. Die Jüngeren, ohne zudringlich zu sein, erschienen doch als Wohlbekannte; die Mittleren, mit einem gewissen verbindlichen Anstand, wie solche die sich beliebt machen und allenfalls mit höheren Ansprüchen hervortreten möchten. Es waren schöne Männer darunter, mit dem Behagen eines gründlichen Wohlstandes.

Nun aber die alten Herren waren ganz unerträglich mit ihren Onkelsmanieren, die ihre Hände nicht im Zaum hielten, und bei widerwärtigem Tätscheln sogar einen Kuß verlangten, welchem die Wange nicht versagt wurde. Ihr war so natürlich dem allem anständig zu genügen. Allein auch die Gespräche erregten manches bedenkliche Erinnern. Von jenen Lustfahrten wurde gesprochen zu Wasser und zu Lande, von mancherlei Fährlichkeiten mit heiterem Ausgang, von Bällen und Abendpromenaden, von Verspottung lächerlicher Werber und was nur eifersüchtigen Ärger in dem Herzen des trostlos Liebenden aufregen konnte, der gleichsam das Facit so vieler Jahre auf eine Zeit lang an sich gerissen hatte. Aber unter diesem Zudrang, in dieser Bewegung, versäumte sie den Freund nicht, und wenn sie sich zu ihm wendete, so wußte sie mit wenigem das Zarteste zu äußern, was der gegenseitigen Lage völlig geeignet schien.

Zitierhinweis

Online-Edition:
BuG I, BuG01_A_0460 (Ernst Grumach/Renate Grumach), in: https://goethe-biographica.de/id/BuG01_A_0460.

Entspricht Druck:
BuG I, S. 367 f. (Ernst Grumach/Renate Grumach).

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