BuG:BuG I, A 455
Frankfurt 2./3. 9. 1775

J. G. Sulzer an J. J. Bodmer 30. 9. 1775 (GJb 5, 198)

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Frankfurt 2./3. 9. 1775

Göthe ist in Frankfurt drei Stunden lang bei mir gewesen und würde allem Anschein nach noch länger mit mir geplaudert haben, wenn ihn nicht die Nacht weggerufen hätte. Die Seite, von der er mir sich zeigte (Jedermann sagt mir, er habe zwei ganz verschiedene) hatte nichts, das mir nicht gefiel. Ich irre mich sehr, wenn dieser junge Mann bei reiferen Jahren nicht ein rechtschaffner Mann sein wird. Izt hat er den Menschen und das menschliche Leben noch nicht von vielen Seiten betrachtet. Aber sein Blick ist scharf.

J. G. Sulzer (Sulzer S. 17)

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Ich hatte doch in Frankfurt das Vergnügen, des bereits in seinen jungen Jahren durch verschiedene Schriften in Deutschland berühmt gewordenen Doct.

Göthens Besuch zu genießen. Dieser junge Gelehrte ist ein wahres Originalgenie von ungebundener Freyheit im Denken, sowohl über politische wie gelehrte Angelegenheiten. Er besitzt bey wirklich scharfer Beurtheilungskraft eine feurige Einbildungskraft und sehr lebhafte Empfindsamkeit. Aber seine Urtheile über Menschen, Sitten, Politik und Geschmack sind noch nicht durch hinlängliche Erfahrung unterstützt. Im Umgange fand ich ihn angenehm und liebenswürdig.

Dichtung und Wahrheit XV (WA IV 28, 342)

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Von Salis ... ging ebenfalls bei uns vorüber ..., der über die genialisch tolle Lebensweise unserer kleinen Gesellschaft gar wunderliche Anmerkungen im Stillen wird gemacht haben. Ein gleiches mag Sulzern, der uns auf seiner Reise nach dem südlichen Frankreich berührte, begegnet sein; wenigstens scheint eine Stelle seiner Reisebeschreibung, worin er mein gedenkt, dahin zu deuten.

Diese so angenehmen als förderlichen Besuche waren aber auch mit solchen durchwebt, die man lieber abgelehnt hätte. Wahrhaft Dürftige und unverschämte Abenteurer wendeten sich an den zutraulichen Jüngling, ihre dringenden Forderungen durch wirkliche wie durch vorgebliche Verwandtschaften oder Schicksale unterstützend. Sie borgten mir Geld ab, und setzten mich in den Fall wieder borgen zu müssen, so daß ich mit begüterten und wohlwollenden Freunden darüber in das unangenehmste Verhältniß gerieth. Wünschte ich nun solche Zudringlinge allen Raben zur Beute, so fühlte sich mein Vater gleichfalls in der Lage des Zauberlehrlings, der wohl sein Haus gerne rein gewaschen sähe, sich aber entsetzt, wenn die Fluth über Schwellen und Stufen unaufhaltsam einhergestürzt kommt.

Zitierhinweis

Online-Edition:
BuG I, BuG01_A_0455 (Ernst Grumach/Renate Grumach), in: https://goethe-biographica.de/id/BuG01_A_0455.

Entspricht Druck:
BuG I, S. 365 (Ernst Grumach/Renate Grumach).

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