BuG:BuG I, A 392
Frankfurt März/Anf. Apr. 1775

Dichtung und Wahrheit XV (WA I 28, 330)

Frankfurt März/Anf. Apr. 1775

Am unangenehmsten ... war mir, daß Prometheus [Deukalion und seine Rezensenten von H. L. Wagner] einiges verlauten ließ, was sich auf den Mainzer Aufenthalt und die dortigen Äußerungen bezog, und was eigentlich niemand als ich wissen sollte. Mir aber bewies es, daß der Verfasser von denjenigen sei, die meinen engsten Kreis bildeten und mich jene Ereignisse und Umstände weitläufig hatten erzählen hören. Wir sahen einer den andern an, und jeder hatte die Übrigen im Verdacht; der unbekannte Verfasser wußte sich gut zu verstellen. Ich schalt sehr heftig auf ihn, weil es mir äußerst verdrießlich war, nach einer so günstigen Aufnahme und so bedeutender Unterhaltung, nach meinem an Wieland geschriebenen zutraulichen Briefe hier wieder Anlässe zu neuem Mißtrauen und frische Unannehmlichkeiten zu sehen. Die Ungewißheit hierüber dauerte jedoch nicht lange: denn als ich in meiner Stube auf- und abgehend mir das Büchlein laut vorlas, hörte ich an den Einfällen und Wendungen ganz deutlich die Stimme Wagners, und er war es auch. Wie ich nämlich zur Mutter hinunter sprang, ihr meine Entdeckung mitzutheilen, gestand sie mir, daß sie es schon wisse. Der Autor, beängstigt über den schlimmen Erfolg bei einer, wie ihm deuchte, so guten und löblichen Absicht, hatte sich ihr entdeckt und um Fürsprache gebeten, damit meine ausgestoßene Drohung, ich würde mit dem Verfasser, wegen mißbrauchten Vertrauens, keinen Umgang mehr haben, an ihm nicht erfüllt werden möchte. Hier kam ihm nun sehr zu statten, daß ich es selbst entdeckt hatte und durch das Behagen, wovon ein jedes eigene Gewahrwerden begleitet wird, zur Versöhnung gestimmt war. Der Fehler war verziehen, der zu einem solchen Beweis meiner Spürkraft Gelegenheit gegeben hatte.

Erklärung 9. 4. 1775 (WA I 38, 422)

Frankfurt März/Anf. Apr. 1775

Nicht ich, sondern Heinrich Leopold Wagner hat den Prometheus gemacht und drucken lassen ... Mir wars, wie meinen Freunden, und dem Publiko, ein Räzel, wer meine Manier in der ich manchmal Scherz zu treiben pflege, so nachahmen, und von gewissen Anekdoten unterrichtet seyn konnte, ehe sich mir der Verfasser vor wenig Tagen entdeckte ... Übrigens war mir’s ganz recht, bey dieser Gelegenheit verschiedne Personen, aus ihrem Betragen gegen mich, in der Stille näher kennen zu lernen.

H. G. v. Bretschneider an Nicolai 11. 4. 1775 (Bode2 3, 429)

Frankfurt März/Anf. Apr. 1775

Goethe, der den ‚Prometheus‘ verleugnet und sich sogar gegen mich selbst so erniedrigte, daß er sagte: „die Kanaille, die ihn verfertigt habe, sei sehr fürsichtig zu Werke gegangen“, ist mit Deinet gar sehr über den Fuß gespannt, denn die Gans ist Deinets werte Person. Ich könnte Goethen am besten überweisen, wenn ich Lust und Beruf dazu hätte, denn ich weiß den Formschneider zu Offenbach, der die Figuren für ihn geschnitten hat.

Merck an Nicolai 6. 5. 1775 (Wagner3 S. 116)

Frankfurt März/Anf. Apr. 1775

Wäre ich bey Goethe und nicht Jacobi bey ihm gewesen, so will ich hoffen, daß der Lärm [über die Freuden des jungen Werther] nicht so laut geworden seyn würde. Er scheint indessen die Folgen schon zu empfinden, weil er sogar gegen mich als Herzensfreund auf Ehre und Treue läugnet, daß er der Verfasser des Prometheus sey. Aus einer gedruckten Erklärung werden Sie gesehen haben, daß ein gewisser Wagner der Verfasser davon ist, ob ichs gleich nicht glaube.

J. M. Miller an J. H. Voß 16. 7. 1775 (Rieger S. 82)

B2 109

Frankfurt März/Anf. Apr. 1775

Er [Klinger] läßt Dich herzlich grüßen. Nach seiner Versicherung muß ich nun gewiß glauben, daß Wagner ohne Goethens Vorwissen den Prometheus gemacht hat. Goethe ist noch in der Schweiz. Er soll auf Claudius sehr übel zu sprechen seyn, ich hab aber schon vieles ins Reine gebracht und Klinger denkt schon billiger von ihm. Goethe schreibt ein Schauspiel für Liebende [Stella], das herrlich seyn soll.

Zitierhinweis

Online-Edition:
BuG I, BuG01_A_0392 (Ernst Grumach/Renate Grumach), in: https://goethe-biographica.de/id/BuG01_A_0392.

Entspricht Druck:
BuG I, S. 324 f. (Ernst Grumach/Renate Grumach).

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