BuG:BuG I, A 381
Frankfurt Ende Febr./Anf. März 1775

G. M. Kraus an Bertuch 5. 3. 1775 (JG2 5, 244)

B2 91

Frankfurt Ende Febr./Anf. März 1775

Nun hören Sie was Göthe sagt! Dießer hat mich schon etliche mahlen besucht. Des Herrn Hofrath Wielands Portrait lobt er über alle maßen, dieße gantze Familie gefält Ihm; Carolingen heist er seine favorite. „Man sieht ihr die Gutheit in ihren GesichtsZügen! Sophiegen, sagt er, ist eine kleine Schönheit, aber etwas schalkhafft, und gefährlich! Die wird Männer rasen machen. Dorgen ist ein kleiner Teufel. Malchen sehr unschuldig und angenehmes Kind“. Das ist das Urtheil von Göthe über dieße Portraits, welches er, wie er mir noch heute sagte, selbsten an Herrn Hofrath schreiben wird. Die Anordnung vom gantzen Bild gefällt ihm nach meiner Scitze sehr wohl, nur mit der Einrichtung des Zimmers ist er nicht gantz zufrieden, es scheinen ihm die darinnen angebrachte Meubles zu reich und prächtig, für einen Autor zu seyn! Daran last sich denken, und ändern ohne dem gantzen zu schaden. Göthe ist jetzo lustig und munter in Gesellschafften, geht auf Bäle und tantzt wie rasend! Macht den Galanten beym schönen Geschlecht; das war er sonsten nicht: Doch hat er noch immer seine alte Laune. Im eyfrigsten Gespräche, kan ihm einfallen, aufzustehen, fortzulaufen und nicht wieder zu erscheinen. Er ist gantz sein, richtet sich nach keiner Menschen Gebräuche, wenn und wo alle Menschen in feyerlichsten Kleidungen sich sehen laßen, sieht man ihn im grösten Negligé, und eben so, im Gegentheil. Göthe will oft zu mir kommen und bey mir zeichnen, welches ich ihme sehr gerne erlauben werde. Er hat seit einem Jahr viel gezeichnet, und auch etwas gemalt. Viele SchattenBilder, und auch andere Gesichter in Profil macht er, trifft öfters recht gut die Gleichheit ... Noch eins muß ich Ihnen sagen – und das zwar sage ich Ihnen nicht gern – Göthe hat mir angekündiget, das ich in hießiger Stadt, nicht viel Subscribenten für Ihren Donquixote anwerben würde. Ein garstiges Zeichen vom Geschmack meiner Lands-Leute.

Böttiger (*Neophilologus 18, 23)

Frankfurt Ende Febr./Anf. März 1775

Als ihn unser Rath Krause [G. M. Kraus] zu erst in Frankfurt kennen lernte (Krause suchte das patrocinium seines Vaters, der viel im Rathe galt, um den in eine Gilde verbundenen Malern zum Trotz eine Zeichenschule in Frankfurt errichten zu können), schlotterte alles an ihm, er trug ein großes Pflaster um den Hals, sah ekelhaft gelb im Gesicht und hatte beinahe keine Haare mehr am Kopf. So sehr hatten ihn seine Kämpfe auf dem Schlachtfelde der Venus vulgivaga zum Invaliden gemacht.

Dichtung und Wahrheit XX (WA I 29, 167)

Frankfurt Ende Febr./Anf. März 1775

Georg Melchior Kraus, in Frankfurt geboren, in Paris gebildet, kam eben von einer kleinen Reise in’s nördliche Deutschland zurück, er suchte mich auf, und ich fühlte sogleich Trieb und Bedürfniß, mich ihm anzuschließen ...

Wie er nun überall zuthätig war, so förderte er bei seiner nunmehrigen Rückkehr nach Frankfurt meine bisher nur sammelnde Kunstliebe zu praktischer Übung ... Bei’m Durchblättern und Durchschauen der reichlichen Portefeuilles, welche der gute Kraus von seinen Reisen mitgebracht hatte, war die liebste Unterhaltung, wenn er landschaftliche oder persönliche Darstellungen vorlegte, der Weimarische Kreis und dessen Umgebung. Auch ich verweilte sehr gerne dabei, weil es dem Jüngling schmeicheln mußte, so viele Bilder nur als Text zu betrachten von einer umständlichen wiederholten Ausführung: daß man mich dort zu sehen wünsche. Sehr anmuthig wußte er seine Grüße, seine Einladungen durch nachgebildete Persönlichkeit zu beleben. Ein wohlgelungenes Ölbild stellte den Capellmeister Wolf am Flügel und seine Frau hinter ihm zum Singen sich bereitend vor; der Künstler selbst wußte zugleich gar dringend auszulegen, wie freundlich dieses werthe Paar mich empfangen würde. Unter seinen Zeichnungen fanden sich mehrere bezüglich auf die Wald- und Berg-Gegend um Bürgel. Ein wackerer Forstmann hatte daselbst, vielleicht mehr seinen anmuthigen Töchtern als sich selbst zu Liebe, rauhgestaltete Felspartien, Gebüsch und Waldstrecken durch Brücken, Geländer und sanfte Pfade gesellig wandelbar gemacht; man sah die Frauenzimmer in weißen Kleidern auf anmuthigen Wegen, nicht ohne Begleitung. An dem einen jungen Manne sollte man Bertuch erkennen, dessen ernste Absichten auf die Älteste nicht geläugnet wurden, und Kraus nahm nicht übel, wenn man einen zweiten jungen Mann auf ihn und seine aufkeimende Neigung für die Schwester zu beziehen wagte.

Bertuch, als Zögling Wielands, hatte sich in Kenntnissen und Thätigkeit dergestalt hervorgethan, daß er, als Geheimsecretär des Herzogs schon angestellt, das Allerbeste für die Zukunft erwarten ließ. Von Wielands Rechtlichkeit, Heiterkeit, Gutmüthigkeit war durchaus die Rede; auf seine schönen literarischen und poetischen Vorsätze ward schon ausführlich hingedeutet, und die Wirkung des Mercur durch Deutschland besprochen; gar manche Namen in literarischer, staatsgeschäftlicher und geselliger Hinsicht hervorgehoben, und in solchem Sinne Musäus, Kirms, Berendis und Ludecus genannt. Von Frauen war Wolfs Gattin und eine Witwe Kotzebue, mit einer liebenswürdigen Tochter und einem heitern Knaben, nebst manchen andern rühmlich und charakteristisch bezeichnet. Alles deutete auf ein frisch thätiges literarisches und Künstlerleben. Und so schilderte sich nach und nach das Element, worauf der junge Herzog nach seiner Rückkehr wirken sollte.

Zitierhinweis

Online-Edition:
BuG I, BuG01_A_0381 (Ernst Grumach/Renate Grumach), in: https://goethe-biographica.de/id/BuG01_A_0381.

Entspricht Druck:
BuG I, S. 317 f. (Ernst Grumach/Renate Grumach).

Zurück zum Seitenanfang