BuG:BuG I, A 368
Frankfurt Nov./Dez. 1774

Dichtung und Wahrheit XIII (WA I 28, 187)

Frankfurt Nov./Dez. 1774

Mein durch die Natur geschärfter Blick warf sich wieder auf die Kunstbeschauung, wozu mir die schönen Frankfurter Sammlungen an Gemählden und Kupferstichen die beste Gelegenheit gaben, und ich bin der Neigung der Herren Etling, Ehrenreich, besonders aber dem braven Nothnagel sehr viel schuldig geworden. Die Natur in der Kunst zu sehen, ward bei mir zu einer Leidenschaft, die in ihren höchsten Augenblicken andern, selbst passionirten Liebhabern, fast wie Wahnsinn erscheinen mußte; und wie konnte eine solche Neigung besser gehegt werden, als durch eine fortdauernde Betrachtung der trefflichen Werke der Niederländer. Damit ich mich aber auch mit diesen Dingen werkthätig bekannt machen möchte, räumte mir Nothnagel ein Kabinett ein, wo ich alles fand, was zur Ölmahlerei nöthig war, und ich mahlte einige einfache Stillleben nach dem Wirklichen, auf deren einem ein Messerstiel von Schildpat mit Silber eingelegt, meinen Meister, der mich erst vor einer Stunde besucht hatte, dergestalt überraschte, daß er behauptete, es müsse während der Zeit einer von seinen untergeordneten Künstlern bei mir gewesen sein.

Zitierhinweis

Online-Edition:
BuG I, BuG01_A_0368 (Ernst Grumach/Renate Grumach), in: https://goethe-biographica.de/id/BuG01_A_0368.

Entspricht Druck:
BuG I, S. 310 (Ernst Grumach/Renate Grumach).

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