BuG:BuG I, A 345
Frankfurt 27./29. 9. 1774

Dichtung und Wahrheit XV (WA I 28, 332)

Frankfurt 27./29. 9. 1774

Ich hatte schon mehrere Briefe mit ihm [Klopstock] gewechselt, als er mir anzeigte, daß er nach Karlsruhe zu gehen und daselbst zu wohnen eingeladen sei; er werde zur bestimmten Zeit in Friedberg eintreffen, und wünsche, daß ich ihn daselbst abhole. Ich verfehlte nicht, zur rechten Stunde mich einzufinden; allein er war auf seinem Wege zufällig aufgehalten worden, und nachdem ich einige Tage vergebens gewartet, kehrte ich nach Hause zurück, wo er denn erst nach einiger Zeit eintraf, sein Außenbleiben entschuldigte und meine Bereitwilligkeit ihm entgegen zu kommen sehr wohl aufnahm. Er war klein von Person, aber gut gebaut, sein Betragen ernst und abgemessen, ohne steif zu sein, seine Unterhaltung betimmt und angenehm. Im Ganzen hatte seine Gegenwart etwas von der eines Diplomaten. Ein solcher Mann unterwindet sich der schweren Aufgabe, zugleich seine eigene Würde und die Würde eines Höheren, dem er Rechenschaft schuldig ist, durchzuführen, seinen eigenen Vortheil neben dem viel wichtigem eines Fürsten, ja ganzer Staaten zu befördern, und sich in dieser bedenklichen Lage vor allen Dingen den Menschen gefällig zu machen. Und so schien sich auch Klopstock als Mann von Werth und als Stellvertreter höherer Wesen, der Religion, der Sittlichkeit und Freiheit, zu betragen. Eine andere Eigenheit der Weltleute hatte er auch angenommen, nämlich nicht leicht von Gegenständen zu reden, über die man gerade ein Gespräch erwartet und wünscht. Von poetischen und literarischen Dingen hörte man ihn selten sprechen. Da er aber an mir und meinen Freunden leidenschaftliche Schlittschuhfahrer fand, so unterhielt er sich mit uns weitläufig über diese edle Kunst, die er gründlich durchgedacht und was dabei zu suchen und zu meiden sei, sich wohl überlegt hatte. Ehe wir jedoch seiner geneigten Belehrung theilhaft werden konnten, mußten wir uns gefallen lassen, über den Ausdruck selbst, den wir verfehlten, zurecht gewiesen zu werden. Wir sprachen nämlich auf gut Oberdeutsch von Schlittschuhen, welches er durchaus nicht wollte gelten lassen: denn das Wort komme keineswegs von Schlitten, als wenn man auf kleinen Kufen dahin führe, sondern von Schreiten, indem man, den Homerischen Göttern gleich, auf diesen geflügelten Sohlen über das zum Boden gewordene Meer hinschritte. Nun kam es an das Werkzeug selbst; er wollte von den hohen hohlgeschliffenen Schrittschuhen nichts wissen, sondern empfahl die niedrigen, breiten, flachgeschliffenen friesländischen Stähle, als welche zum Schnelllaufen die dienlichsten seien. Von Kunststücken, die man bei dieser Übung zu machen pflegt, war er kein Freund. Ich schaffte mir nach seinem Gebot so ein Paar flache Schuhe mit langen Schnäbeln, und habe solche, obschon mit einiger Unbequemlichkeit, viele Jahre geführt. Auch vom Kunstreiten und sogar vom Bereiten der Pferde wußte er Rechenschaft zu geben und that es gern; und so lehnte er, wie es schien vorsätzlich, das Gespräch über sein eigen Metier gewöhnlich ab, um über fremde Künste, die er als Liebhaberei trieb, desto unbefangener zu sprechen.

Frankf. Kayserl. Reichs-Ober-Post-Amts-Zeitung 1. 10. 1774, Nr. 157

Frankfurt 27./29. 9. 1774

Herr Klopfstock, der Liebling teutsch- und ausländischer höchster Fürstin [sic], ist am Dienstage Abend hieselbst angekommen, tratt bey seinem Freunde, unsern Herrn D. Göthe ab und setzte Donnerstag früh seine Reise nach Carlsruh weiter fort.

Zitierhinweis

Online-Edition:
BuG I, BuG01_A_0345 (Ernst Grumach/Renate Grumach), in: https://goethe-biographica.de/id/BuG01_A_0345.

Entspricht Druck:
BuG I, S. 296 f. (Ernst Grumach/Renate Grumach).

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