BuG:BuG I, A 211
Ehrenbreitstein 14./19. 9. 1772

Dichtung und Wahrheit XIII (WA I 28, 177)

Ehrenbreitstein 14./19. 9. 1772

In höchst lieblichem Contrast lag an seinem [Schloß Ehrenbreitsteins] Fuß das wohlgebaute Örtchen Thal genannt, wo ich mich leicht zu der Wohnung des Geheimeraths von Laroche finden konnte. Angekündigt von Merck, ward ich von dieser edlen Familie sehr freundlich empfangen, und geschwind als ein Glied derselben betrachtet. Mit der Mutter verband mich mein belletristisches und sentimentales Streben, mit dem Vater ein heiterer Weltsinn, und mit den Töchtern meine Jugend ...

Nicht lange war ich allein der Gast im Hause. Zu dem Congreß, der hier theils im artistischen, theils im empfindsamen Sinne gehalten werden sollte, war auch Leuchsenring beschieden, der von Düsseldorf heraufkam ... Er führte mehrere Schatullen bei sich, welche den vertrauten Briefwechsel mit mehreren Freunden enthielten ...

Solche Correspondenzen, besonders mit bedeutenden Personen, wurden sorgfältig gesammelt und alsdann, bei freundschaftlichen Zusammenkünften, auszugsweise vorgelesen; und so ward man, da politische Discurse wenig Interesse hatten, mit der Breite der moralischen Welt ziemlich bekannt.

Leuchsenrings Schatullen enthielten in diesem Sinne manche Schätze. Die Briefe einer Julie Bondeli wurden sehr hochgeachtet ...

Ich wohnte diesen Vorlesungen gerne bei, indem ich dadurch in eine unbekannte Welt versetzt wurde, und das Innere mancher kurz vergangenen Begebenheit kennen lernte. Freilich war nicht alles gehaltreich; und Herr von Laroche, ein heiterer Welt- und Geschäftsmann, der sich, obgleich Katholik, schon in Schriften über das Mönch- und Pfaffthum lustig gemacht hatte, glaubte auch hier eine Verbrüderung zu sehen, wo mancher Einzelne ohne Werth sich durch Verbindung mit bedeutenden Menschen aufstutze, wobei am Ende wohl er, aber nicht jene gefördert würden. Meistens entzog sich dieser wackere Mann der Gesellschaft, wenn die Schatullen eröffnet wurden. Hörte er auch wohl einmal einige Briefe mit an, so konnte man eine schalkhafte Bemerkung erwarten. Unter andern sagte er einstens, er überzeuge sich bei dieser Correspondenz noch mehr von dem was er immer geglaubt habe, daß Frauenzimmer alles Siegellack sparen könnten, sie sollten nur ihre Briefe mit Stecknadeln zustecken und dürften versichert sein, daß sie uneröffnet an Ort und Stelle kämen. Auf gleiche Weise pflegte er mit allem was außer dem Lebens- und Thätigkeitskreise lag, zu scherzen ...

So lebte ich in einer neuen wundersam angenehmen Umgebung eine Zeit lang fort, bis Merck mit seiner Familie herankam. Hier entstanden sogleich neue Wahlverwandtschaften: denn indem die beiden Frauen sich einander näherten, hatte Merck mit Herrn von Laroche als Welt- und Geschäftskenner, als unterrichtet und gereis’t, nähere Berührung. Der Knabe gesellte sich zu den Knaben, und die Töchter fielen mir zu, von denen die älteste mich gar bald besonders anzog ...

Nun fehlte es nicht an reicher Unterhaltung in und außer dem Hause. Man durchstrich die Gegend; Ehrenbreitstein diesseits, die Carthause jenseits wurden bestiegen. Die Stadt, die Moselbrücke, die Fähre die uns über den Rhein brachte, alles gewährte das mannichfachste Vergnügen. Noch nicht erbaut war das neue Schloß; man führte uns an den Platz wo es stehn sollte, man ließ uns die vorschlägigen Risse davon sehen.

In diesem heitern Zustande entwickelte sich jedoch innerlich der Stoff der Unverträglichkeit, der in gebildeten wie in ungebildeten Gesellschaften gewöhnlich seine unfreundlichen Wirkungen zeigt. Merck, zugleich kalt und unruhig, hatte nicht lange jene Briefwechsel mit angehört, als er über die Dinge von denen die Rede war, so wie über die Personen und ihre Verhältnisse, gar manchen schalkhaften Einfall laut werden ließ, mir aber im Stillen die wunderlichsten Dinge eröffnete, die eigentlich darunter verborgen sein sollten. Von politischen Geheimnissen war zwar keineswegs die Rede, auch nicht von irgend etwas, das einen gewissen Zusammenhang gehabt hätte; er machte mich nur auf Menschen aufmerksam, die ohne sonderliche Talente mit einem gewissen Geschick sich persönlichen Einfluß zu verschaffen wissen, und durch die Bekanntschaft mit vielen, aus sich selbst etwas zu bilden suchen ...

Indessen wirkten die wunderlichen Elemente unserer kleinen Gesellschaft noch so ganz leidlich auf einander; wir waren theils durch eigne Sitte und Lebensart gebändigt, theils aber auch durch jene besondere Weise der Hausfrau gemildert, welche von dem, was um sie vorging, nur leicht berührt, sich immer gewissen ideellen Vorstellungen hingab, und indem sie solche freundlich und wohlwollend zu äußern verstand, alles Scharfe was in der Gesellschaft hervortreten mochte, zu mildern und das Unebne auszugleichen wußte.

Merck hatte noch eben zur rechten Zeit zum Aufbruch geblasen, so daß die Gesellschaft in dem besten Verhältniß aus einander ging.

An Sophie v. La Roche etwa 20. 11. 1772 (WA IV 2, 39)

Ehrenbreitstein 14./19. 9. 1772

Seit den ersten unschätzbaaren Augenblicken, die mich zu Ihnen brachten, seit ienen Scenen der innigsten Empfindung, wie offt ist meine ganze Seele bey Ihnen gewesen. Und drauf in der Glorie von häuslicher mütterlicher Glückseeligkeit, umbetet von solchen Engeln Sie zu schauen, was mehr ist mit Ihnen zu leben! Meine Armuth an Worten, meine Unfähigkeit mich laut zu freuen, haben mir allein ausdrucken können was ich fühlte, und Sie – Sie wissen am besten was Ihr Herz für mich spricht ... Hundertmal freuen wir uns im Geiste nach über die Augenblicke die wir in Gegenwart der schönsten Natur in dem seeligsten Zirkel genossen.

An Sophie v. La Roche 19. 1. 1773 (WA IV 2, 57)

Ehrenbreitstein 14./19. 9. 1772

Viel tausend Danck für das liebe Paket. Es hat mich so ganz in die glücklichen hellen Tage versetzt, zu Ihnen und Ihren liebsten, hat mir alle unsre Unterredungen wieder lebendig gemacht ...

Meine Einbildungskrafft verlässt den Augenblick nie, da ich von Ihnen und Ihrer vollkomm[n]en Tochter mich trennen musste, und mit Abschiedvollem Herzen die letzte Hand küsste, und sagte vergessen Sie mich nicht.

Zitierhinweis

Online-Edition:
BuG I, BuG01_A_0211 (Ernst Grumach/Renate Grumach), in: https://goethe-biographica.de/id/BuG01_A_0211.

Entspricht Druck:
BuG I, S. 220 ff. (Ernst Grumach/Renate Grumach).

Zurück zum Seitenanfang