BuG:BuG I, A 184
Darmstadt Anf. Apr. 1772

Caroline Flachsland an Herder 13. 4. 1772 (SchrGG 41, 91)

B2 31

Darmstadt Anf. Apr. 1772

Unser Freund Göthe ist zu Fuß von Frankfurt gekommen und [hat] Merk besucht. Wir waren alle Tage beysammen, und sind in den Wald zusammen gegangen und wurden auch zusammen durch und durch beregnet, wir liefen alle unter einen Baum und Göthe sang uns ein Liedchen, das Sie aus dem Shakespear übersetzt „Wohl untern grünen BaumesDach“ und wir alle sangen den letzten Vers mit „nur Eins, das heißt rauhwetter!“ aber so vergnügt, daß ich mehr wünsche, so beregnet zu werden. Das zusammen ausgestandene Leiden hat uns recht vertraut gemacht, er hat uns einige der besten Scenen aus seinem „Gottfried von Berlichingen“, das Sie vielleicht von ihm haben, vorgelesen. Meinen Liebling, den Geist unsrer alten Deutschen, habe ich da wieder gesehen, und der kleine Georg, wie er um einen weisen Schimmel und Harnisch bittet, ist mein Georg. – Wir sind darauf auf dem Wasser gefahren, von dem ich Ihnen neulich gesagt, es war aber rauh Wetter. Göthe steckt voller Lieder, Eins, von einer Hütte, die in Ruinen alter Tempel gebaut [Der Wandrer], ist vortrefflich; er muß mirs geben, wenn er wieder kommt, und dann theile ichs Ihnen, lieber bester H[erder], mit. Merk hat ihm von unsrer Lilla [Luise v. Ziegler] erzehlt, und hier theile ich Ihnen etwas aus seinem Herzen mit, das er an einem schönen Frühlingsmorgen, da er allein in dem Tannenwald spazieren gieng [Ein zärtlich jugendlicher Kummer?], gemacht hat. Der arme Mensch erzehlte meiner Schwester und mir den Tag vorher, daß er schon einmal geliebt hätte, aber das Mädchen [Käthchen Schönkopf] hätte ihn ein ganzes Jahr getäuscht und dann verlaßen; sie glaubte, daß sie ihn liebte, aber es kam ein Anderer, und er wurde der arme Koxkox. Ich kan Ihnen nicht sagen, wie sehr mir alles das ans Herz gieng und wie still und traurig wir den Abend vonander giengen ... Hier ist ein Briefchen von meiner Lila, das ich letzthin vergeßen einzuschließen, sie kommt nach den Feiertagen und la Roche und Göthe hierher, und wir werden alle beysammen seyn – ach, doch nicht Alle –

Ich schicke diesen Brief durch meinen Bruder, weil Merk mit Göthe nach Fr[ank]furt ist und die la Roche abholt; er hat sich recht sehr, sehr über die Recensionen [für die Frankfurter Gelehrten Anzeigen], die Sie ihm geschickt, gefreut. Göthe hat sie auch gelesen.

Zitierhinweis

Online-Edition:
BuG I, BuG01_A_0184 (Ernst Grumach/Renate Grumach), in: https://goethe-biographica.de/id/BuG01_A_0184.

Entspricht Druck:
BuG I, S. 195 f. (Ernst Grumach/Renate Grumach).

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