BuG:BuG I, A 164
Sesenheim Sommer 1771

Dichtung und Wahrheit XI (WA I 28, 80)

Sesenheim Sommer 1771

Friederike blieb sich immer gleich; sie schien nicht zu denken noch denken zu wollen, daß dieses Verhältniß sich so bald endigen könne. Olivie hingegen, die mich zwar auch ungern vermißte, aber doch nicht so viel als jene verlor, war voraussehender oder offener. Sie sprach manchmal mit mir über meinen vermuthlichen Abschied und suchte über sich selbst und ihre Schwester sich zu trösten.

Dichtung und Wahrheit XI (WA I 28, 32)

Sesenheim Sommer (?) 1771

Gemahlte Bänder waren damals eben erst Mode geworden; ich mahlte ihr gleich ein paar Stücke und sendete sie mit einem kleinen Gedicht voraus, da ich dießmal länger als ich gedacht ausbleiben mußte. Um auch die dem Vater gethane Zusage eines neuen und ausgearbeiteten Baurisses noch über Versprechen zu halten, beredete ich einen jungen Bauverständigen, statt meiner zu arbeiten. Dieser hatte so viel Lust an der Aufgabe als Gefälligkeit gegen mich, und ward noch mehr durch die Hoffnung eines guten Empfangs in einer so angenehmen Familie belebt. Er verfertigte Grundriß, Aufriß und Durchschnitt des Hauses; Hof und Garten war nicht vergessen; auch ein detaillirter, aber sehr mäßiger Anschlag war hinzugefügt, um die Möglichkeit der Ausführung eines weitläufigen und kostspieligen Unternehmens als leicht und thulich vorzuspiegeln.

Diese Zeugnisse unserer freundschaftlichen Bemühungen verschafften uns den liebreichsten Empfang; und da der gute Vater sah, daß wir den besten Willen hatten, ihm zu dienen, so trat er mit noch einem Wunsche hervor; es war der, seine zwar hübsche aber einfarbige Chaise mit Blumen und Zierrathen staffirt zu sehn. Wir ließen uns bereitwillig finden. Farben, Pinsel und sonstige Bedürfnisse wurden von den Krämern und Apothekern der nächsten Städte herbeigeholt. Damit es aber auch an einem Wakefield’schen Mißlingen nicht fehlen möchte, so bemerkten wir nur erst, als alles auf das fleißigste und bunteste gemahlt war, daß wir einen falschen Firniß genommen hatten, der nicht trocknen wollte: Sonnenschein und Zugluft, reines und feuchtes Wetter, nichts wollte fruchten. Man mußte sich indssen eines alten Rumpelkastens bedienen, und es blieb uns nichts übrig, als die Verzierung mit mehr Mühe wieder abzureiben als wir sie aufgemahlt hatten. Die Unlust bei dieser Arbeit vergrößerte sich noch, als uns die Mädchen um’s Himmelswillen baten, langsam und vorsichtig zu verfahren, um den Grund zu schonen; welcher denn doch, nach dieser Operation, zu seinem ursprünglichen Glanze nicht wieder zurückzubringen war.

Durch solche unangenehme kleine Zwischenfälligkeiten wurden wir jedoch so wenig als Doctor Primrose und seine liebenswürdige Familie in unserm heitern Leben gestört; denn es begegnete manches unerwartete Glück sowohl uns als auch Freunden und Nachbarn; Hochzeiten und Kindtaufen, Richtung eines Gebäudes, Erbschaft, Lotteriegewinn wurden wechselseitig verkündigt und mitgenossen. Wir trugen alle Freude, wie ein Gemeingut, zusammen und wußten sie durch Geist und Liebe zu steigern.

Zitierhinweis

Online-Edition:
BuG I, BuG01_A_0164 (Ernst Grumach/Renate Grumach), in: https://goethe-biographica.de/id/BuG01_A_0164.

Entspricht Druck:
BuG I, S. 177 (Ernst Grumach/Renate Grumach).

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