BuG:BuG I, A 419
Zürich 9./15. 6. 1775

Lavater an J. C. und Elisabeth Goethe 20. 6. 1775 (GJb 21, 110)

Zürich 9./15. 6. 1775

Daß Wolfgang Goethe ist, daß er irgendwo ist, daß dieß irgendwo Zürich, in Zürich Waldreis, im Waldreis – ein Saal oder eine Kammer ist, – daß dießes Waldreis Sohns u. Bruders Lavaters Wohnung ist. Daß Joh. Wolfgang Goethe ganz gesund, ein Bischen vergnügt, nur wenig grimmig ist – daß er noch – wie viel Tage bey uns bleiben, – und die Bewunderung aller Augen seyn wird, habe unterthänigst berichten wollen.

Lavater an Carl Friedrich Markgraf von Baden 24. 6. 1775 (GJb 21, 113)

Zürich 9./15. 6. 1775

Und nun noch Eins. Nicht von meinem besten Fürsten ist das Bild, dessen ich letzthin erwähnte. Ich irrte mich, und bin nun durch Goethe, der bei mir ist, drauf kommen.

Dichtung und Wahrheit XVIII (WA I 29, 106)

Zürich 9./15. 6. 1775

In getrennter Wohnung von meinen Gesellen lebend, ward ich täglich, ohne daß wir im geringsten Arges daran gehabt hätten, denselben immer fremder; unsre Landpartien paßten nicht mehr zusammen, obgleich in der Stadt noch einiges Verkehr übrig geblieben war. Sie hatten sich mit allem jugendlich gräflichen Übermuth auch bei Lavatern gemeldet, welchem gewandten Physiognomisten sie freilich etwas anders vorkamen als der übrigen Welt. Er äußerte sich gegen mich darüber und ich erinnere mich ganz deutlich, daß er, von Leopold Stolberg sprechend, ausrief: Ich weiß nicht was ihr alle wollt, es ist ein edler, trefflicher talentvoller Jüngling, aber sie haben mir ihn als einen Heroen, als einen Hercules beschrieben, und ich habe in meinem Leben keinen weichern, zarteren und, wenn es darauf ankommt, bestimmbareren jungen Mann gesehen. Ich bin noch weit von sicherer physiognomischer Einsicht entfernt, aber wie es mit euch und der Menge aussieht, ist doch gar zu betrübt.

F. L. Graf zu Stolberg an Katharina Gräfin zu Stolberg 20. 6. 1775 (Janssen 1, 45)

B2 102

Zürich 9./15. 6. 1775

Göthe ist mit einem hiesigen Freunde [Passavant] zum St. Gotthard gereist; da er nicht lange von Frankfurt sein kann, wollte er den doch sehen. Ich bin neugierig auf seine Wiederkunft; man meint hier, der Berg werde noch voll Schnee sein. Wir werden Göthe sehr vermissen. Er hat uns viele Manuscripte gelesen, welche alle würdige Brüder des Götz von Berlichingen sind.

Dichtung und Wahrheit XVIII (WA I 29, 110)

Zürich 9./15. 6. 1775

Ein besonderes, zwar nicht unerwartetes, aber höchsterwünschtes Vergnügen empfing mich in Zürich, als ich meinen jungen Freund Passavant daselbst antraf. Sohn eines angesehenen reformirten Hauses meiner Vaterstadt, lebte er in der Schweiz, an der Quelle derjenigen Lehre, die er dereinst als Prediger verkündigen sollte. Nicht von großer, aber gewandter Gestalt, versprach sein Gesicht und sein ganzes Wesen eine anmuthige rasche Entschlossenheit. Schwarzes Haar und Bart, lebhafte Augen. Im Ganzen eine theilnehmende mäßige Geschäftigkeit.

Kaum hatten wir, uns umarmend, die ersten Grüße gewechselt, als er mir gleich den Vorschlag that, die kleinen Kantone zu besuchen, die er schon mit großem Entzücken durchwandert habe und mit deren Anblick er mich nun ergötzen und entzücken wolle.

Indeß ich mit Lavatern die nächsten und wichtigsten Gegenstände durchgesprochen und wir unsre gemeinschaftlichen Angelegenheiten beinah erschöpft hatten, waren meine muntern Reisegesellen schon auf mancherlei Wegen ausgezogen und hatten nach ihrer Weise sich in der Gegend umgethan. Passavant mich mit herzlicher Freundschaft umfangend, glaubte dadurch ein Recht zu dem ausschließenden Besitz meines Umgangs erworben zu haben und wußte daher, in Abwesenheit jener, mich um so eher in die Gebirge zu locken, als ich selbst entschieden geneigt war, in größter Ruhe und auf meine eigne Weise, diese längst ersehnte Wanderung zu vollbringen. Wir schifften uns ein, und fuhren an einem glänzenden Morgen den herrlichen See hinauf.

Lavater an Wieland 8./9. 11. 1775 (SchrGG 16, 342)

B2 107

Zürich 9./15. 6. 1775 und 26. 6./6. 7. 1775

Wer kann verschiedner denken, als Goethe und ich; und dennoch lieben wir uns sehr ... Goethe war voll Bonhomie zu Ihnen zukommen. Das weiß ich. Sie werden über den Mann erstaunen, der mit dem Grimm des Tigers, die Gutherzigkeit eines Lämmleins verbindet. Ich habe noch keinen festern und keinen zugleich leitsamern Menschen gesehen. Prometheus? Eh ich wußte, daß Wagner Verfaßer war, sagt ich, sagt’s ihm selbst – „Goethes unwürdig!“ – Liebster Wieland, Sie irren sich gewiß, wenn Sie Goethe für den Verfaßer des Prometheus halten. Das ist so, so wenig Sie die Menschen,Thier und Göthe, die man hier Ihnen zuschreiben wollte, gemacht haben. Beydes bestreit ich mit gleicher Zuversicht. Das erste ist Goethen, das andere Ihnen – unmöglich. – Goethe ist der liebenswürdigste, zutraulichste, herzigste Mensch. Bey Menschen ohne Prätension; der zermalmendste Herkules aller Prätension. Nehmen Sie zum Pfand seines edlen Herzens seine brüderliche Liebe zu mir tausendmal schwächern. Der Wurm darf dem Adler um den Schnabel kriechen. Seine Größe ist wirklich übern Neid erhaben, und der Wurm darf ihm dennoch ins lächelnde Herz flüstern: Deiner Flügel Schlag, und ihren Todeston – laß ruhn! Billiger ist kein Mensch in mündlicher Beurteilung anderer – Toleranter niemand, als Er. Ich hab’ Ihn neben Basedow und Hasenkamp – bey Herrenhutern und Mystikern, bey Weibchens und Männinnen, bey Kleinjoggen und Boßhard (zwey unendlich verschiedene Himmelsprodukte unsers Landes) allenthalben denselben edeln, alles durchschauenden, duldenden Mann gesehen. Aber ja! – wehe dem, der Prätensionen gegen ihn macht – und – der „seine canonischen Bücher“ angreift.

Lavater an J. G. Zimmermann 18. 7. 1775 (Im neuen Reich 1878, 2 S. 606)

Zürich 9./15. 6. 1775 und 26. 6./6. 7. 1775

Goethe hab ich in Deinem Namen geküßt. Ich hoffe, daß ers gegen Dich in meinem gethan haben werde.

Lavater an Herder Okt. 1775 (Düntzer3 2, 145)

Zürich 9./15. 6. 1775 und 26. 6./6. 7. 1775

Mit Goethe hatt’ ich herrliche Stunden. Nur ist’s mir unerträglich, daß ich ihm so gar nichts bin. Ich muß andern nur immer die Freude lassen zu geben.

Carl August v. Sachsen-Meiningen an seine Schwester Wilhelmine 20. 8. 1775 (Bechstein S. 141)

B2 84

Zürich 9./15. 6. 1775 und 26. 6./6. 7. 1775

Lavaters Urtheil über Goethe, Wieland und andere Gelehrte hat mir sehr wohl gefallen. Goethe sagt er, wäre lauter Kraft, Empfindung, Imagination; er handelte danach ohne zu wissen warum und wozu es wäre, wie ein Strom der ihn fortrisse; Goethe wäre aber doch ein Original-Genie.

J. J. Bodmer an Schinz 13. 11. 1775 (GJb 5, 199)

Zürich 9./15. 6. 1775 und 26. 6./6. 7. 1775

Hess mußte ihnen [den Stolbergs] sein Exemplar von Wilhelm von Oranse überlassen. Ich hatte es ihm für das erstere gegeben, welches Göthe ihm genommen.

J. J. Bodmer an Schinz 6. 7. 1775 (GJb 5, 195)

Zürich 9./15. 6. 1775 und 26. 6./6. 7. 1775

Göthe hat hier keine Freunde, er ist zu hoch und entscheidend.

J. Tobler (Im neuen Reich 1877, 2 S. 103)

Zürich 9./15. 6. 1775 und 26. 6./6. 7. 1775

  Im Sommer 1775.

  Wie wunderbar die Herren Genien sind!  Herr Goethe kam nach Zürich,  Spricht ein bey seinem Lavater,  Findt Buch und Tisch beim Waldreis wohl bestellt,  Geht ’paar mal aus, sieht mit dem Adlerblick,  Der auf den ersten Augenblick  Character, Kopf und Herz aufs Häärgen kennt  Die Zürcher Herren Gelehrten;  Verreisst alsdann und spricht zu sich:  „Ich kenn sie jetzt,  Ey, Ey, die Herren Geßner, Bodmer, Breitinger,  Steinbrüchel, Compagnie,  Das Völkgen Zürcher, ha,  Ist das so ganz was herrliches?  Die kenn’ ich mehr als gnug!“  – Und war verreißt.  „Und ist er wirklich wieder weg?“  So fragten die Gelehrten Herrn in Zürich.  „Was das auch heißt!  Das heiß ich auch gereisst!  Dem war bey uns gar Niemand gut genug,  Auch steht der Uebermuth ihm an der Stirn geschrieben.
  Indeß ists zu errathen,  Warum er hier im Waldreis steken blieb:  Ihn ließ sein herrlicher Lavater nicht.  Der fürchtet, wo jezt ein Fremder uns suchte,  Dem würden, gieng er umher, die Augen geöffnet!“  Ey, ey, getroffen aufs Haar!  Gesehn wie Goethe sah, ohn erst die Augen zu brauchen!

Ph. Chr. Kayser an Dorothea Kayser 1. 7. 1775 (BerFDHNF 7, 444)

Zürich 9./15. 6. 1775 und 26. 6./6. 7. 1775

Triffst Du Göthen einmal allein, so darfst Du ihn kek ansprechen, und ihn fragen, was ich machte? Thu das. Scheu Dich nicht, er ist ein Gott! aber er ist noch ein besserer Mensch.

An S. Boisserée 18. 6. 1819 (WA IV 31, 190)

Zürich 9./15.6.1775 (?) und 26.6./6.7.1775 (?)

Ich erinnere mich bey dieser Gelegenheit eines Vorwurfs den ich von Lavatern in ähnlichem Falle hören mußte, er sagte: „Du thust auch als wenn wir dreyhundert Jahre alt werden wollten.“

Lavater, Reisetagebuch 27. 6. 1783 (ChronWGV 27, 43)

Zürich 9./15.6.1775 (?) und 26.6./6.7.1775 (?)

[Sprachen] von Nicolai, von dem Goethe sagte, er sei ein Unteroffizier, der nie, wie im Preußischen, Oberoffizier werden könne.

Zitierhinweis

Online-Edition:
BuG I, BuG01_A_0419 (Ernst Grumach/Renate Grumach), in: https://goethe-biographica.de/id/BuG01_A_0419.

Entspricht Druck:
BuG I, S. 342 (Ernst Grumach/Renate Grumach).

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