BuG:BuG I, A 413
Emmendingen 27. 5./5. 6. 1775

Dichtung und Wahrheit XVIII (WA I 29, 97)

Emmendingen 27. 5./5. 6. 1775

Ich trennte mich von meinen Gesellen, indem ich einen Seitenweg einzuschlagen hatte, um nach Emmendingen zu gehen, wo mein Schwager Oberamtmann war. Ich achtete diesen Schritt meine Schwester zu sehen, für eine wahrhafte Prüfung. Ich wußte, sie lebte nicht glücklich, ohne daß man es ihr, ihrem Gatten oder den Zuständen hätte Schuld geben können ...

Bei’m Abschiede nach kurzem Aufenthalte lag es mir noch schwerer auf dem Herzen, daß meine Schwester mir auf das ernsteste eine Trennung von Lili empfohlen, ja befohlen hatte. Sie selbst hatte an einem langwierigen Brautstande viel gelitten ...

Diese Zustände, diese Erfahrungen waren es, wodurch sie sich berechtigt glaubte, mir auf’s ernsteste eine Trennung von Lili zu befehlen. Es schien ihr hart, ein solches Frauenzimmer, von dem sie sich die höchsten Begriffe gemacht hatte, aus einer wo nicht glänzenden, doch lebhaft bewegten Existenz herauszuzerren, in unser zwar löbliches, aber doch nicht zu bedeutenden Gesellschaften eingerichtetes Haus, zwischen einen wohlwollenden, ungesprächigen, aber gern didaktischen Vater, und eine in ihrer Art höchst häuslich-thätige Mutter, welche doch, nach vollbrachtem Geschäft, bei einer bequemen Handarbeit nicht gestört sein wollte, in einem gemüthlichen Gespräch mit jungen herangezogenen und auserwählten Persönlichkeiten.

Dagegen setzte sie mir Lili’s Verhältnisse lebhaft in’s Klare; denn ich hatte ihr theils schon in Briefen, theils aber in leidenschaftlich geschwätziger Vertraulichkeit alles haarklein vorgetragen.

Leider war ihre Schilderung nur eine umständliche wohlgesinnte Ausführung dessen, was ein Ohrenbläser von Freund, dem man nach und nach nichts Gutes zutraute, mit wenigen charakteristischen Zügen einzuflüstern bemüht gewesen.

Versprechen konnt’ ich ihr nichts, ob ich gleich gestehen mußte, sie habe mich überzeugt.

Dichtung und Wahrheit XIX (WA I 29, 157)

Emmendingen 27. 5./5. 6. 1775

Freilich sehr verbietend und bestimmt waren die Gebote meiner Schwester; sie hatte mir mit allem verständigen Gefühl, dessen sie fähig war, die Lage [Goethes Verhältnis zu Lili] nicht nur in’s Klare gesetzt, sondern ihre wahrhaft schmerzlich mächtigen Briefe verfolgten immer mit kräftigerer Ausführung denselben Text. Gut, sagte sie, wenn ihr’s nicht vermeiden könntet, so müßtet ihr’s ertragen; dergleichen muß man dulden, aber nicht wählen.

An Johanna Fahlmer 5. 6. 1775 (WA IV 2, 266)

Emmendingen 27. 5./5. 6. 1775

Ich bin sehr in der Lufft. Schlafen Essen Trincken Baden Reiten Fahren, war so ein Paar Tage her der seelige inhalt meines Lebens. Ihr Brief [über die Aufführung von Erwin und Elmire] hat uns allen viel Freude gemacht, Sie habens sehr lebhafft gefühlt, und sehr dramatisch erzählt. Mir wars lieber als die Vorstellung selbst.

Luise König an Friederike Hesse 14. 6. 1775 (Froitzheim1 S. 81)

Emmendingen 27. 5./5. 6. 1775

Er [Lenz] war mit Götte bey der Schlosserin u. kan nicht sagen was für Wunderwürkung sein Anblick auf ihre Seele u Cörper gemacht haben. sie gieng gleich den andern Tag mit ihnen spatzieren u soll jetzt gantz wohl seyn. o warum müssen solche Menschen von einander getrennt seyn!

J. M. R. Lenz an Sophie v. La Roche Juni (?) 1775 (Freye - Stammler 1, 110)

Emmendingen 27. 5./5. 6. 1775

Ich habe ... keine Ergießungen des Herzens als vor Gott. Bisweilen auch an den Busen meines Göthe, der nun freilich viel von mir weiß.

In das Stammbuch von J. M. R. Lenz (JG2 5, 264)

Emmendingen 27. 5./5. 6. 1775

  Zur Erinnerung guter Stunden,  Aller Freuden, aller Wunden,  Aller Sorgen, aller Schmerzen,  In zwei tollen Dichter Herzen,  Noch im lezten Augenblick  Lass ich Lenzgen dies zurück.

Zitierhinweis

Online-Edition:
BuG I, BuG01_A_0413 (Ernst Grumach/Renate Grumach), in: https://goethe-biographica.de/id/BuG01_A_0413.

Entspricht Druck:
BuG I, S. 338 (Ernst Grumach/Renate Grumach).

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