BuG:BuG I, A 291
Frankfurt Anf. Juni 1774

F. H. Jacobi an Wieland 8. 5. [6.] 1774 (GJb 2, 378)

Frankfurt Anf. Juni 1774

Erst vorgestern erhielt ich Nachricht von Tante Fahlmer, wie die Scene zwischen ihr, dem Doktor Göthe und dem Merkur abgelaufen ist. Göthe hatte der Feyer einer goldenen Hochzeit, die mit ausserordentlicher Pracht auf dem Lande begangen wurde, beygewohnt und war deswegen verschiedene Tage lang von Frankfurt abwesend.

Johanna Fahlmer an F. H. Jacobi vor 6. 6. 1774 (*GJb 2, 379)

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Frankfurt Anf. Juni 1774

Die Tante sitzt vor ihrem Clavier, spielt aber nicht mehr drauf, sondern liest in Mad. du Boccage. Goethe kömmt gestiefelt und in einem Englischen Überrock. Noch auf der obersten Stuben Treppe stehend und eines seiner gestiefelten Beine hervorstreckend.

Göthe. Tante! Da komm ich ... Ja, gestiefelt und eingemummelt. Das ist die Variation.

Tante. Aber Sie riechen doch, als wie in Ambrosia getaucht.

Göthe. Ich komme vom Dechant. (Dumeiz.) – Aber was machen denn Sie, liebe Tante?

Tante. Da, mit Mad. du Boccage unterhalt ich mich ganz gut. Wie gefällt Ihnnen dies hier (*)1

Göthe. Oh – gut! gut! ist recht gut!

Tante. Wissen Sie? Sie haben mir’s lange gemacht, bis Sie wieder angekommen sind. Ich habe etwas bekommen, das für Sie zu allererst mit zum Genuß soll seyn; aber mit der Zeit – oh, dann kömt’s zum General Tracktament für das Publicum. Aber erst sagen Sie mir, wie hats gegangen? Ist brav getanzt worden? Wars denn sehr herrlich?

Göthe.................................................................

(Wir giengen miteinander in der Stube auf und ab. Des kleinen George [Jacobi] Kribel Krabel Briefchen lag auf meinem Tische.)

Tante. Da, lesen Sie vom kleinen George.

(Göthe liest. Unterdessen holt die Tante ihre Arbeit und die Blätter vom Merkur, und setzt sich an ihren Schreibtisch, Göthe gegen über.)

Tante. Sehen Sie hier! Nun, was habe ich?

Göthe. Was ists? – Was ists, lieb Täntchen? Lassen Sie sehen!

Tante. Es ist, worauf Sie Sich bey Bölling, wenns ankäme, als auf ein herrliches Tractament zu Gast geladen haben (**)2 – Aber ich habe noch mehr. (Tante hält ihm die Revision über Götz von Berlichingen vor die Augen und giebt ihm die Blätter zusammen.)

Göthe (nach einigem Lesen). Nu, Wieland, du bist ein braver Kerl! ein ganzer Kerl! – Was? fängt ers so an? – Oh, gut! Nun, Sie wissen Tante, was ich immer von W[ieland] gesagt habe – ob ich ihm nicht immer gut war? Ich habe allzeit gesagt, es ist ein ganzer Kerl, ein guter Mensch. Aber ich bin gegen ihn aufgebracht worden. Den verfluchten Dreck schrieb ich in der Trunkenheit! Ich war trunken! Und, wie ich Ihnen gesagt habe, in Ewigkeit hätte ichs nicht selber in Druck gegeben; aber ich hatte es nicht mehr allein in Händen. – Und ich bin, wie der Herodes; in gewissen Augenblicken kan man alles von mir erhalten. Schon lange haben mir die Kerls vorgeschwätzt: „laß’s drucken! laß’s drucken!“ – Nä, ihr sollt nicht! – Da kommen sie mir aber aufs neu: „O mein! laß es uns drucken“! – Und ich hatte, Gott weis! weder neue Bosheit noch Ärger gegen W. – Nun, so druckts und schert euch! ... Da, Da! (mit dem Finger auf das Blat deutend) Das ists just was mich an W. so ärgerte, und mich reitzte, mich gegen ihn auszulassen. Da, der Ton. Sehen Sie, liebe Tante; ich wills nicht sagen: ich selbst hab Recht, W. hat Unrecht. Denn Alter, Zeitpunkte, alles macht Verschiedenheit in der Art zu sehen und zu empfinden. Jetzt denk’ ich nun so und so; vielleicht in dem Alter von W. – wer weiß noch eher? – denke ich just so, wie er. Drum, was soll ich sagen? Hat er nun Recht? oder hab ich nun Recht? – Der Eindruck, den man itzt selbst hat, der gilt. Wieland hat Recht, daß er so urtheilt; aber mich ärgerts nun noch. – „Mit der Zeit! Mit der Zeit!“ Ja, das ists, das ists! just, just so spricht mein Vater; die nehmliche Händel, die ich mit diesem in Politischen Sachen habe, hab’ ich mit W. in diesen Punkten. Der Vater: Ton! der ists just, der mich aufgebracht hat. – Sagen Sie mir, um Gottes willen, warum er sich just an seine allerschlechtste Arbeit machte und mit den ewigen Briefen sie vertheidigte? Seine Musarion – ein Werk, wovon ich jedes Blat auswendig lernte, das allervortreflichste Ganze, das je erschienen ist .... nichts, nichts nimmt er sich so an, als der Alceste, die für mich just das schlechtste von allen seinen Werken ist. – Ich muß weiter lesen. – Ganz brav! ganz brav! Nun, Wieland; unsre Fehde ist aus; dir kann ich nichts mehr thun ... Das garstige Frazen-Zeug hat er schon gelesen, das seh’ ich.

Tante. Ja, freylich! Kommen Sie, lesen Sie, das hier ist die Antwort drauf. (Er wurde roth. Ich sah, daß es ihn erschütterte.)

Göthe. Besser hätt ers nicht machen können. Sehr gut! Ich sags ja; nun muß ich ihn auf immer gehen lassen. W. gewinnt viel bey dem Publico dadurch, und ich verliere. – Ich bin eben prostituirt.

(Tante lachte herzlich.)

Nun wieder an den Anfang von der Recension. Die Vergleichung mit den jungen Füllen u. s. w. durchgeschnattert, und dabey vielmahl ausgerufen: es ist wahr, er hat Recht! ganz excellent! – Weiter gelesen. – Gut! Meinen Weißlingen beurtheilt er, wie ich ihn will gelesen haben. – Gut! Besser als Wieland versteht mich doch keiner. – An der Stelle, wo er wegen der Vermischung der Sprachen in verschiedenen Jahrhunderten getadelt wird, sagte er: auch recht, auch gut; aber wer Teufel anders, als ein W., Lessing pp. kann mich hierinnen beurtheilen! Freylich hat er ganz Recht; ich habs selber genug gefühlt u. s. w. Die Folge meiner Werke solls zeigen, ob ich meine Fehler kannte.

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Tante. Haben Sie seit ich zu Düsseldorf war, nicht sonst noch etwas hübsches im Genre des Götter-Gesprächs componiert?

Göthe. Nichts, liebe Tante. Den Satiros. Nun, der war schon vor ihrer Abreise [Sept. 1773] fertig.

Tante. Gar nichts? Ein dergleichen freundschaftliches Drama. (sie kuckte ihm gerade in die Augen.) Sie sind aufrichtig, Göthe! Darum müssen Sie mirs gestehen.

Göthe. Das will ich. Ja, liebe Tante; fragen Sie nur!

Tante. Das Unglück der J***?

Göthe. Ja, das ist wahr. Aber schon lange, ehe ich sie noch alle kannte; es war blos auf Anecdoten, auf Wischwaschereyen gebaut, alles von Hören sagen. Ihr alle seyd lächerlich mitgespielt. Sie auch, Tante. Niemand, als die L[a] R[oche], Merck und der Dechant [Dumeiz] habens gelesen; und niemand mehr in der Welt soll es auch zu hören und zu sehen bekommen; es soll nie wieder an das Licht riechen. – Es ist auch nicht einmahl ausgemacht – gilt nichts mehr.

Tante. Aber ich doch muß es hören?

Göthe. Liebe Tante, das kann unmöglich seyn. Verlangen Sie es nicht ......

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Nach Hin- und Wieder-Reden wurde es klar, wer der Held darinn sey, und was den Anlaß dazu gegeben hatte. Es wurde gleich nachher, als Goethe und Merck von Coblenz zurückkamen [Sept. 1772] geschrieben .............

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Wir hatten großen Spaß und Gelächter über das Ding, wie und wohin er mich schief und über Eck gestellt hätte. u. d. gl.

  1. (*) Aretins Grabschrift: L’Aretin repose en ce lieu, De chacun il fit la satire; Mais ne connoissant point de Dieu, De Dieu seul il ne put médire.

  2. (**) Göthe war wegen Wielands Rache voller Erwartung, u. sah deswegen dem VI t. Theil d. Merkurs mit brennender Ungeduld entgegen Anm. Jacobis.

An G. F. E. Schönborn 8. 6. 1774 (WA IV 2, 174)

Frankfurt Anf. Juni 1774

Der Dechant [Dumeiz] war einige Zeit kranck, ietzt sind wir in dem Garten fleisig, säen, binden, gäten und essen, er will in der Apathie was vor sich bringen, ich aber der ich sehe es geht nicht, übe mich täglich in der Anakatastasis.

Zitierhinweis

Online-Edition:
BuG I, BuG01_A_0291 (Ernst Grumach/Renate Grumach), in: https://goethe-biographica.de/id/BuG01_A_0291.

Entspricht Druck:
BuG I, S. 251 (Ernst Grumach/Renate Grumach).

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