BuG:BuG I, A 509
Weimar Nov./Dez. 1775

Wieland an Lavater 25. 12. 1775 (Archiv 4, 313)

Weimar Nov./Dez. 1775

Das Gerede, Hr. Meister hätte eine Bittschrift für L. von W. erhalten, würde mir die Augen vollends öfnen, wenn ich noch den mindesten Zweifel über den Character dieses Hrn. M. haben könnte, nach allem dem, was Göthe mir von ihm gesagt hat ...

Göthe ist vorgestern auf’s Land gegangen und wird erst Donnerstag Abends wieder zurückseyn. Der Herzog (dem er fast unentbehrlich worden ist), das Schrittschuh-Fahren, die Jagd- und Reiseparthien, die Assembleen, kurz der Hof nimmt ihm fast alle seine Zeit. Er kan sich nun aus Erfahrung vorstellen, wie mir’s in den letzten drey Jahren gieng. Übrigens ist sein Hierseyn in mehr als einer Betrachtung von wichtigem Nutzen. Nur thut mirs leid, dass Ihre gemeinschaftlichen Arbeiten darunter leiden.

Wieland an Unbekannt Dez. 1775 (GJb 9, 303)

Weimar Nov./Dez. 1775

Dass Göthe schon über fünf Wochen hier ist, wissen Sie vermuthlich schon; und dass Er und Ich nicht nöthig gehabt haben, einander fünf Wochen lang alle Tage zu sehen, um Freunde zu werden, brauche ich einem Manne von Ihrer Empfindung wol nicht erst zu sagen. Schiefköpfe und kleine Seelen werden gewaltige Klotzaugen darüber machen, und sich nicht in das Wunder finden können. Göthe ist, so wie er ist, alles zusammengenommen, das grösste Genie und zugleich einer der liebenswürdigsten Menschen unsrer Zeit; und Herder und Lavater sind wohl die Einzigen, die ihm allenfalls die Königswürde der Geister, zu dieser unsrer Zeit streitig machen können.

An Herder 12. 12. 1775 (WA IV 3, 4)

Weimar Nov./Dez. 1775

Mir ists wohl hier, in aller Art. Wieland ist eine brave Seele und die Fürstenkinder edel lieb und hold.

An Herder 2. 1. 1776 (WA IV 3, 13)

Weimar Nov./Dez. 1775

Er [Wieland] wünscht dich her, hatte eh die Idee als ich.

K. v. Lyncker, Am Weimar. Hofe S. 46

Weimar Nov./Dez. 1775

Mit der neuen Regierung tat sich eine neue Welt für Weimar auf, und es traten ganz unerwartete Erscheinungen hervor. Vor allem erregte die Ankunft des Dr. Goethe allgemeine Aufmerksamkeit, dessen Schriften, unter ihnen jedoch insbesondere ‚Die Leiden des jungen Werther‘ sowie der bekannte ‚Faust‘ für einen angehenden Regenten nicht wohlgeeignet schienen, [wie sie auch] bereits zuviel Sentimentalität in die Jugend gebracht hatten, als daß manche Eltern dieses Buch nicht hätten verwünschen und den Verfasser für einen gefährlichen Mann halten sollen. Allein er war angekommen und von nun an vom Herzoge unzertrennlich. Wieland empfing ihn natürlich sehr kalt, denn sie waren sich schon von beiden Seiten in Schriften feindlich entgegengetreten ... Doch gewann Wieland bei noch näherer Bekanntschaft soviel Achtung und Liebe für Goethe, daß er in große Lobeserhebungen ausbrach ...

Ich wurde dem Dr. Goethe bald nach seiner Ankunft bei der Oberstallmeisterin v. Stein, mit deren drei Söhnen ich viel Gemeinschaft hatte, als Knabe von acht Jahren in dem dermaligen Landschaftskollegialhause vorgestellt, in welchem jene Dame wohnte. Seine steife Haltung, die enge Bewegung seiner Arme und sein Perpendikulargang fielen allgemein auf. Spaßhaft genug hatte ihm das Schicksal einen Bedienten, nur unter dem Namen Philipp bekannt, zugeführt, der, obgleich etwas kleiner, fast eine gleiche Gestalt mit ihm hatte und seine Bewegungen so treu nachahmte, daß man oft versucht war, ihn von weitem für Goethe selbst zu halten. Dieser Philipp war der nachmalige Rentamtmann Seidel.

Goethe war ein besonderer Patron von Kindern, und ich entsinne mich sehr genau, wie er uns gleich bei dem ersten Zusammentreffen in den Zimmern der Frau v. Stein auf den Boden legte und in mancherlei Kunststücken unterrichtete.

F. H. v. Einsiedel, Schreiben eines Politikers an die Gesellschaft am 6. Januar 1776 (Keil2 1, 29)

Weimar Nov./Dez. 1775

  Der Wahrheit euch zu überführen,  Sollt ihr die Must’rung all passiren  Werd Mann für Mann genau skizziren,  Daß nicht mehr gilt ein X für U,  Tritt keiner in des andern Schuh ...  Dem Ausbund aller, dort von Weiten  Möcht’ ich auch ein Süpplein zubereiten,  Fürcht nur sein ungeschliffnes Reiten;  Denn sein verfluchter Galgenwitz  Fährt aus ihm wie Geschoß und Blitz.  ’s ist ein Genie, von Geist und Kraft:  (Wie eb’n unser Herr Gott Kurzweil schafft)  Meynt, er könn uns all übersehn  Thäten für ihn rum auf Vieren gehn,  Wenn der Fratz so mit einem spricht  Schaut er einem stier ins Angesicht,  Glaubt er könns fein riechen an,  Was wäre hinter jedermann.  Mit seinen Schriften unsinnsvoll  Macht er die halbe Welt itzt toll,  Schreibt n’ Buch von ein’m albern Tropf,  Der heiler Haut sich schießt vorn Kopf:  Meynt Wunder was er ausgedacht,  Wenn ihr einem Mädel Herzweh macht.  Paradirt sich drauf als Doctor Faust,  Daß ’m Teufel selber vor ihm graußt.  Mir könnt’ er all gut seyn im Ganzen,  (Thät mich hinter meinen Damm verschanzen)  Aber wär ich im Land  Würd’ er, und all sein Zeugs verbannt.

Zitierhinweis

Online-Edition:
BuG I, BuG01_A_0509 (Ernst Grumach/Renate Grumach), in: https://goethe-biographica.de/id/BuG01_A_0509.

Entspricht Druck:
BuG I, S. 394 (Ernst Grumach/Renate Grumach).

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