BuG:BuG I, A 480
Frankfurter Zeit III 1773/75

Merck an Nicolai 19. 1. 1776 (Wagner3 S. 131)

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Frankfurt 1773/75

Mir thuts leid, daß Sie von Einem meiner Freunde gekränkt werden und daß dies durch die niederträchtige Hände von Zuträgern und Anekdoten-Sammlern geschieht. Haben Sie denn nicht schon längstens den Menschen verachtet, der so Etwas fähig ist? Entweder ist es Schaden-Freude, oder Willen, Goethen zu schaden. – Freundschaft kanns nicht seyn, die Mährchen und Tischreden zuträgt. Was wird von dem sonderbaren Menschen nicht Alles erzählt! Wär’ Er Ich, so hätt’ ich ihm längst die Imputation gemacht, so aber kann ich von ihm auch gegen mich nichts Anderes sagen als: Dies thut wohl, und jenes weh. Er folgt ganz seiner Laune, unbekümmert über die Folge Ihrer Moralität, allein was er auch über Sie gesprochen und geschrieben haben mag, so ists Nichts als faunischer Muthwillen. – Zu rachsüchtigen Absichten, deren Ausgang Pasquillen und Trätschereyen wären, dazu hat er erstlich nicht die Seele, und 2tens nicht die Zeit, weil sein Kopf voll immer neuer Träumereyen schwirbelt. Von dem neuen Pasquill hab’ ich nirgends kein Wort gehört, und kann auf meine Ehre versichern, daß ich Nichts davon weiß. Ein Buch ließ sich von allen dem Thörichten und Bösen schreiben, was seine Landsleute selbst in Frankfurt und 3 Meilen von da mir selbst als Geheimnisse anvertraut haben, die wenn sie wahr wären, ihn seines Bürger-Rechts verlustig und vogelfrey erklärten; wovon aber Gottlob kein Jota wahr ist. Ich habe mich (ich will es denn einmal gestehen) für Sie, weil ich Sie kenne, gegen Andre die im Irrthum waren, oft heischer gepredigt, und am Ende Nichts als Undank verdient. Ich mag nun für Goethe die Litaney nicht wieder anfangen, allein das muß ich Ihnen doch aufrichtig versichern, daß er mit Wieland nicht spielt, daß er vielen Muthwillens, aber keiner Duplicität fähig ist, und daß wenn Sie mit ihm auf einige Abende nur so nahe wie Wieland zusammengesperrt würden, sie einander ... lieb gewinnen würden ...

Wenn Sie wüßten, wie ich oft mit ihm über Rationem artis disputire, und Sie sähen den Burschen im Schlaf-Rock und Nachtwamms der bonhommie, er würde Ihnen gefallen. Sein Faust ist aber ein Werk, das mit der größten Treue der Natur abgestohlen ist, und die Stella wie Clavigo sind aufrichtig Nichts weiter als Nebenstunden. Ich erstaune, so oft ich Ein neu Stück zu Fausten zu sehn bekomme, wie der Kerl zusehends wächst, und Dinge macht, die ohne den großen Glauben an sich selbst, und den damit verbundenen Muthwillen ohnmöglich wären. Dies Alles, was ihn angeht, sub rosa.

Merck an J. M. R. Lenz 8. 3. 1776 (Freye - Stammler 1, 193)

Frankfurt 1773/75

Selbst Goethe mahlt offt mit Wasserfarbe Geschichte der Menschheit ... Mit ihm hab’ ich offt Ihre Liebes-Gedichte gelesen, u. gefunden was das ist, wahre Leidenschaft. Sie waren dem äußern Schnitt des todten Buchstabens nach Menantisch, Talandrisch u. Gottschedisch, dafür hätte sie gewiß Ramler gebrandmarkt. Aber innen wehte der große Wind heraus, der uns mitschaudern machte.

Eckermann, Gespräche 27. 3. 1831 (Houben1 S. 389)

Frankfurt 1773/75

Merck und ich ... waren immer mit einander wie Faust und Mephistopheles. So moquirte er sich über einen Brief meines Vaters aus Italien, worin dieser sich über die schlechte Lebensweise, das ungewohnte Essen, den schweren Wein und die Muskito’s beklagt, und er konnte ihm nicht verzeihen, daß in dem herrlichen Lande und der prächtigen Umgebung, ihn so kleine Dinge wie Essen, Trinken und Fliegen hätten incommodiren können.

L. Kegele an Goethe 17. 10. 1805 (GSA, Eing. Br. 1805, 151)

Frankfurt 1773/75

Da ich ... ehmals das Glück hatte, Ihres Umgangs und manches Unterrichts gewürdiget zu werden, so wird Ihnen mein Unglück nicht ganz gleichgültig seyn, obgleich seit jener Zeit mehr als 30 Jahre verflossen sind. O, daß ich doch nicht von jener Ohnmacht erwacht wäre, in welcher ich zu Darmstadt vor Ihnen niedersanck!

Bettina v. Arnim, Goethes Briefwechsel mit einem Kinde (Oehlke 3, 70)

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Frankfurt 1773/75

[Elisabeth Goethe] Mein Sohn hat gesagt: was einem drückt, das muß man verarbeiten, und wenn er ein Leid gehabt hat, da hat er ein Gedicht draus gemacht.

Elisabeth Goethe an H. Buff 2. 2. 1776 (Pfeiffer-Belli S. 400)

Frankfurt 1773/75

Freuen thut er sich gewiß, wenn ich ihm schreibe; daß ich an seinen lieben alten Bekannten und guten Freund geschrieben habe, denn wie viel er immer von Ihnen und Ihrem ganzen Haus erzählt hat, kann ich Ihnen nicht sagen. Für seinen vergnügtesten Zeitpunkt hat er es immer gehalten.

Elisabeth Goethe an Anna Amalia 30. 11. 1778 (Pfeiffer-Belli S. 432)

Frankfurt 1773/75

Frau Aja that einen großen schrei als sie ihren Häschelhanß [im Bild] erblickte. Wir finden viele gleichheit drinnen, und haben eine große herrlichkeit damit wie das Ihro Durchlaucht Sich leicht vorstellen können, da wir ihn selbst in 3 Jahren nicht gesehen haben, zumahl da er im Frack gemahlt ist worin ich ihn immer am liebsten so um mich herum hatte, und es auch seine gewöhnliche tracht war.

Dichtung und Wahrheit X (WA I 27, 373)

Frankfurt 1773/75

Mir war von meinem Vater eine gewisse lehrhafte Redseligkeit angeerbt; von meiner Mutter die Gabe, alles was die Einbildungskraft hervorbringen, fassen kann, heiter und kräftig darzustellen, bekannte Mährchen aufzufrischen, andere zu erfinden und zu erzählen, ja im Erzählen zu erfinden. Durch jene väterliche Mitgift wurde ich der Gesellschaft mehrentheils unbequem: denn wer mag gern die Meinungen und Gesinnungen des andern hören, besonders eines Jünglings, dessen Urtheil, bei lückenhafter Erfahrung, immer unzulänglich erscheint. Meine Mutter hingegen hatte mich zur gesellschaftlichen Unterhaltung eigentlich recht ausgestattet. Das leerste Mährchen hat für die Einbildungskraft schon einen hohen Reiz und der geringste Gehalt wird vom Verstande dankbar aufgenommen.

Durch solche Darstellungen, die mich gar nichts kosteten, machte ich mich bei Kindern beliebt, erregte und ergötzte die Jugend und zog die Aufmerksamkeit älterer Personen auf mich. Nur mußte ich in der Societät, wie sie gewöhnlich ist, solche Übungen gar bald einstellen, und ich habe nur zu sehr an Lebensgenuß und freier Geistesförderung dadurch verloren.

Rieger S. 19

Frankfurt 1773/75

Noch eine Tatsache aus den Erinnerungen meiner Mutter. Sie hatte von der ihrigen [Agnes Klinger] gehört, daß diese als Kind von Goethe manchmal Märchen erzält bekam, sich aber dabei auszuhalten pflegte, daß es richtige Märchen und keine von seinen erfundenen sein müsten. Die Chronologie war keine starke Seite meiner Mutter und es fiel ihr nicht auf, daß was sie da berichtete in das achzehnte Lebensjar Klingers, geschweige in ein späteres, nicht recht passte, weil Agnes damals schon zwölf bis dreizehn Jare alt war, ein Alter wo gewitzte, früh reifende Mädchen sich schon weit lieber kunderbunte Erfindungen als ehrliche Überlieferungen vortragen lassen; von einer noch früheren Beziehung aber wuste sie nichts anzugeben, die es möglich machen würde sich vorzustellen, wie der heranwachsende neue Paris vor dem sechs- oder achtjärigen Kinde seine Kunst versuchte. Übrigens giengen die Klingerischen bei der Frau Rat aus und ein.

Rieger S. 71

Frankfurt 1773/75

Meine Mutter [die Tochter von Agnes Klinger] schrieb dasselbe [ein Pasquill gegen Klingers Leidendes Weib] einem Candidaten Göntgen zu, und sie erzälte, Goethe und Klinger hätten diesen eines Tages auf dem Sandhof, einem Vergnügungsorte bei Sachsenhausen, getroffen und ihm mit ihren Reitpeitschen unter der Nase herum gefuchtelt. Da er selber am Schlusse seines Machwerkes dem verunglimpften Dichter mit der Peitsche gedroht hatte, konte er sich über diese Behandlung nicht sonderlich beschweren.

Zitierhinweis

Online-Edition:
BuG I, BuG01_A_0480 (Ernst Grumach/Renate Grumach), in: https://goethe-biographica.de/id/BuG01_A_0480.

Entspricht Druck:
BuG I, S. 380 (Ernst Grumach/Renate Grumach).

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