BuG:BuG I, A 450
Frankfurt Juli/Aug. 1775

J. H. Jung-Stilling, Lebensgeschichte (Grollmann S. 341)

Frankfurt Juli/Aug. 1775

Den folgenden Sommer erhielt Stilling einen Brief von seinem Freunde, dem Herrn Doktor Hoffmann in Frankfurt, worin ihm im Vertrauen entdeckt wurde, daß der Herr von Leesner seine unheilbare Blindheit sehr hoch empfände und über seinen Augenarzt zuweilen Mißtrauen äußerte; da er nun so fürstlich bezahlt worden, so möchte er seinem guten Ruf noch dadurch die Krone aufsetzen daß er auf seine eigene Kosten den Herrn von Leesner noch einmal besuchte ... Und so reiste er mit der Post abermal nach Frankfurt, wo er wieder bei Göthe einkehrte.

H. G. v. Bretschneider an Nicolai 16. 10. 1775 (Werner1 S. 5)

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Frankfurt Juli/Aug. 1775

In dieser Verfassung habe ich ihn in Leipzig kennen lernen und ihm damalen nichts weniger zugetraut, als dass er einmahlen das geringste Aufsehen bey der Litteratur machen würde. Und noch itzo, kann ich Ihnen auf meine Ehre versichern, können sie nicht die geringste Spur in dieses Menschen Umgang finden dass er der Verfasser der Leiden Werthers ist. Er urtheilt schief, und es scheint fast, dass er es weiss, dass sein Verstand ohne langes Nachdenken, nicht zuverlässig ist, denn er gibt Leuten, von denen er muthmasst, dass sich ihre Einsichten über die gemeinen erheben lieber recht, als dass er sich die Verlegenheit über den Halss zöge, eine Materie mit Ihnen zu durchsprechen, wobey er seine Schwäche sehen liesse. Mit einem Worte, er ist ein schlechter Philosoph und ein Mensch mit einem unbeständigen Gemüthe, der bey keinem System stehen bleibt, sondern der von dem einen gar leicht zu dem andern Extremo überspringt und der eben so leicht zum Herrnhuter als zum Freygeist zu bereden wäre, wenn er nicht zum Glück für ihm, so eine starke Dosis Stolz besässe, dass er fast alle andern Menschen ausser ihm für schwache Creaturen hält; weil es aber doch noch Leute geben kann die wenigstens so gescheid sind, als er, so kann es seyn dass er ihre Existenz glaubt, er selbst aber ist nicht im Stande sie zu prüfen, sondern richtet sich in dem Falle nach dem allgemeinen Urtheile der Welt. Daher muss es Ihnen nicht wundern dass er ein Freund Lavaters und des Augendocktors Jung ist, der Lavatern anhängt. Diesen zwey Leuten rede[t] Göthe nach dem Munde und flattirt sie, theils weil sie ihn bewundern, theils weil sie in hiesiger Gegend in den Besitz eines entschiedenen Ruhms sitzen. Ich glaube dass Göthe den Jung zu Verfertigung der Piece [Schleuder eines Hirtenknaben] persuadirt hat. Sie können nicht glauben, was bey der ordinairen Sorte Menschen in hiesiger Gegend ein solches Buch ausrichtet. Er wollte vielleicht Leute haben die Ihre Feinde werden sollten da er es durch seine flüchtige Blätter nicht ausrichten konte; doch das kann Misstrauen von mir seyn. Ich kenne den Doctor Jung nicht von Person und habe ihn auch das letzte mal in Frkfrt nicht sehen können sonst wollte ich Ihnen mehr davon sagen. – Es liegt in Göthe ein gewisser Same von Fähigkeit, oder vielmehr er hat ein poetisches Genie, das alsdann würkt, wenn er, nachdem er lange Zeit einen Stoff herum getragen und in sich bearbeitet und alles gesammelt hat was zu seiner Sache dienen kann, sich an seinen Schreibtisch setzt. Zum Gelegenheits Dichter hätte er sich nicht geschickt, denn er kann ausser seiner Ordnung nichts machen. Wenn ihm etwas auffällt, so bleibt es in seinem Gemüthe oder Kopfe hangen; alles was ihm nur aufstösst sucht er mit dem Klumpen Ton zu verkneten den er in der Arbeit hat, und denkt und sinnt auf nichts anders als dis object. Der Umgang mit wizigen Köpfen in Leipzig und die Kentniss die er dadurch mit guten Büchern erlangt hat, war Ursache dass er was gelesen hat, und dass sein Genie subsidia zu wählen weiss. Es ist aber in seiner Seele keine männliche feste Unterscheidungskraft, keine durchdringende Einsicht und Gabe die Sachen in ihrem wahren Lichte zu besehen. Blos sein Stolz und die daraus entspringende Begierde oder auch eine Ueberzeugung oder Täuschung ein genie superieur zu seyn, macht dass er nicht dem gemeinen Hauffen nachlauft. Göthe ist nichts als ein Dichter von Natur, so wie M. Hoppe[?] auch war, nur dass der letzte arme Teufel nicht Gelegenheit hatte so viel zu sehen zu lesen und zu hören als Göthe, im übrigen aber ein stoltzer Mensch der nichts vertragen kann und dem zum Glück für ihm zur Zeit, die gewöhnlichen Anliegen dieses Erdbodens noch nicht gedemütigt oder aus der Welt geschafft haben.

Nicolai an Merck 28. 12. 1775 (Wagner1 S. 80)

B2 69

Frankfurt Juli/Aug. 1775

Man meldet mir ... G. habe D. Jung zu der Herausgabe des erbärmlichen Dinges „die Schleuder des Hirtenknaben“ aufgemuntert, und, da er Schimpfworte ausstreichen wollen, die Worte gesagt: „Er wolle ihn in Schutz nehmen, wenn er angegriffen würde.“

Elisabeth Goethe an Goethe 30. 11. 1804 (Pfeiffer-Belli S. 823)

B2 124

Frankfurt Juli/Aug. 1775

Wie du mir besonders beym Doctor Jung seiner Hirtenschleuder schuld gabst – ich ersparte den Leuten eine Ohrfeige – damit sie ein Loch in Kopf bekämen.

An Merck 8. (?) 8. 1775 (WA IV 2, 278)

Frankfurt Juli/Aug. 1775

Jung ist nach Elberfeld zurück, und lässt dich grüsen.

Zitierhinweis

Online-Edition:
BuG I, BuG01_A_0450 (Ernst Grumach/Renate Grumach), in: https://goethe-biographica.de/id/BuG01_A_0450.

Entspricht Druck:
BuG I, S. 362 (Ernst Grumach/Renate Grumach).

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