BuG:BuG I, A 42
Frankfurter Zeit I 1764/65

Dichtung und Wahrheit VI (WA I 27, 26)

Frankfurt 1764/65

Mit einem jungen Engländer [A. Lupton], der sich in der Pfeilischen Pension bildete, hatte ich viel Verkehr. Er konnte von seiner Sprache gute Rechenschaft geben, ich übte sie mit ihm und erfuhr dabei manches von seinem Lande und Volke. Er ging lange genug bei uns aus und ein, ohne daß ich eine Neigung zu meiner Schwester an ihm bemerkte, doch mochte er sie im Stillen bis zur Leidenschaft genährt haben: denn endlich erklärte sich’s unversehens und auf einmal. Sie kannte ihn, sie schätzte ihn, und er verdiente es. Sie war oft bei unsern englischen Unterhaltungen die dritte gewesen, wir hatten aus seinem Munde uns beide die Wunderlichkeiten der englischen Aussprache anzueignen gesucht, und uns dadurch nicht nur das Besondere ihres Tones und Klanges, sondern sogar das Besonderste der persönlichen Eigenheiten unseres Lehrers angewöhnt, so daß es zuletzt seltsam genug klang, wenn wir zusammen wie aus Einem Munde zu reden schienen. Seine Bemühung, von uns auf gleiche Weise so viel vom Deutschen zu lernen, wollte nicht gelingen.

Dichtung und Wahrheit IV (WA I 26, 248)

Frankfurt 1764/65

Er [J. D. v. Olenschlager] hielt mich besonders werth und sprach oft mit mir von den Dingen, die ihn vorzüglich interessirten. Ich war um ihn, als er eben seine Erläuterung der Güldnen Bulle schrieb; da er mir denn den Werth und die Würde dieses Documents sehr deutlich herauszusetzen wußte. Auch dadurch wurde meine Einbildungskraft in jene wilden und unruhigen Zeiten zurückgeführt, daß ich nicht unterlassen konnte, dasjenige was er mir geschichtlich erzählte, gleichsam als gegenwärtig, mit Ausmahlung der Charakter und Umstände und manchmal sogar mimisch darzustellen; woran er denn große Freude hatte, und durch seinen Beifall mich zur Wiederholung aufregte.

Ich hatte von Kindheit auf die wunderliche Gewohnheit, immer die Anfänge der Bücher und Abtheilungen eines Werks auswendig zu lernen, zuerst der fünf Bücher Mosis, sodann der Äneide und der Metamorphosen. So machte ich es denn nun auch mit der Goldenen Bulle, und reizte meinen Gönner oft zum Lächeln, wenn ich ganz ernsthaft unversehens ausrief: omne regnum in se divisum desolabitur: nam principes ejus facti sunt socii furum. Der kluge Mann schüttelte lächelnd den Kopf und sagte bedenklich: was müssen das für Zeiten gewesen sein, in welchen der Kaiser auf einer großen Reichsversammlung seinen Fürsten dergleichen Worte in’s Gesicht publiciren ließ.

Von Olenschlager hatte viel Anmuth im Umgang. Man sah wenig Gesellschaft bei ihm, aber zu einer geistreichen Unterhaltung war er sehr geneigt, und er veranlaßte uns junge Leute von Zeit zu Zeit ein Schauspiel aufzuführen: denn man hielt dafür, daß eine solche Übung der Jugend besonders nützlich sei. Wir gaben den Kanut von Schlegel, worin mir die Rolle des Königs, meiner Schwester die Estrithe, und Ulfo dem jüngern Sohn des Hauses zugetheilt wurde. Sodann wagten wir uns an den Britannicus, denn wir sollten nebst dem Schauspielertalent auch die Sprache zur Übung bringen. Ich erhielt den Nero, meine Schwester die Agrippine, und der jüngere Sohn den Britannicus. Wir wurden mehr gelobt als wir verdienten, und glaubten es noch besser gemacht zu haben, als wie wir gelobt wurden. So stand ich mit dieser Familie in dem besten Verhältniß, und bin ihr manches Vergnügen und eine schnellere Entwicklung schuldig geworden.

An J. J. Riese 14. 2. 1814 (WA IV 24, 156)

Frankfurt 1764/65

Die Erzählungen meines Sohnes, begleitet von einem Schreiben Ihrer liebwerthen Hand, haben mich in jene so ruhig als unschuldige Zeiten zurückversetzt, in welchen wir einer heitern und lustigen Jugend genossen ...

Auch habe ich, bey Gelegenheit der lebhaften Erzählung meines Sohnes, die Narbe an dem rechten Zeigefinger vorgewiesen, welche Sie mir schlugen, als ich mit demselben, unter einer Forsthaus Laube, etwas schalkisch, auf ein herankommendes Frauenzimmer deutete, dem wir beyde gewogen waren. Wir bereiteten uns eben einen Teller Schincken zu verzehren und Sie hatten das aufgehobne Messer in der Hand, welches zu meiner Bestrafung sich etwas eilig niedersenckte.

Zitierhinweis

Online-Edition:
BuG I, BuG01_A_0042 (Ernst Grumach/Renate Grumach), in: https://goethe-biographica.de/id/BuG01_A_0042.

Entspricht Druck:
BuG I, S. 61 f. (Ernst Grumach/Renate Grumach).

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