BuG:BuG I, A 5
Frankfurt Nov. 1755

Bettina v. Arnim, Goethes Briefwechsel mit einem Kinde (Oehlke 3, 501)

B2 2

Frankfurt Nov. 1755

Diese schönen Abende, durch die sich der Ruhm meiner [Elisabeth Goethes] Erzählungskunst bald verbreitete, so daß endlich alt und jung daran teilnahm, sind mir eine sehr erquickliche Erinnerung. Das Welttheater war nicht so reichhaltig, obschon es die Quelle war zu immer neuen Erfindungen, es tat durch seine grausenhafte Wirklichkeit, die alles Fabelhafte überstieg, für’s erste der Märchenwelt Abbruch, das war das Erdbeben von Lissabon ... der kleine Wolfgang, der damals im siebenten Jahr war, hatte keine Ruhe mehr; das brausende Meer, das in einem Nu alle Schiffe niederschluckte und dann hinaufstieg am Ufer, um den ungeheuern königlichen Palast zu verschlingen, die hohen Türme, die zuvörderst unter dem Schutt der kleinern Häuser begraben wurden, die Flammen, die überall aus den Ruinen heraus endlich zusammenschlagen und ein großes Feuermeer verbreiten, während eine Schar von Teufeln aus der Erde hervorsteigt, um allen bösen Unfug an den Unglücklichen auszuüben, die von vielen tausend zugrunde Gegangnen noch übrig waren, machten ihm einen ungeheuren Eindruck ... Betrachtungen aller Art wurden in Gegenwart der Kinder vielseitig besprochen, die Bibel wurde aufgeschlagen, Gründe für und wider behauptet, dies alles beschäftigte den Wolfgang tiefer, als einer ahnen konnte, und er machte am Ende eine Auslegung davon, die alle an Weisheit übertraf.

Nachdem er mit dem Großvater aus einer Predigt kam, in welcher die Weisheit des Schöpfers gleichsam gegen die betroffne Menschheit verteidigt wurde, und der Vater ihn fragte, wie er die Predigt verstanden habe, sagte er: „Am Ende mag alles noch viel einfacher sein, als der Prediger meint, Gott wird wohl wissen, daß der unsterblichen Seele durch böses Schicksal kein Schaden geschehen kann.“

Zitierhinweis

Online-Edition:
BuG I, BuG01_A_0005 (Ernst Grumach/Renate Grumach), in: https://goethe-biographica.de/id/BuG01_A_0005.

Entspricht Druck:
BuG I, S. 4 (Ernst Grumach/Renate Grumach).

Zurück zum Seitenanfang