Briefe an Goethe: RA 1, Nr. 152
Von Gottfried August Bürger

18. August 1781, Altengleichen bei Göttingen

| 1 |


   Ich fühle es wol, warum Sie behutsam seyn müssen. So wenig ich aber Geld borgen würde, wenn ich zum voraus wüste, daß ich nicht wieder bezalen könnte, ebenso wenig wäre ich fähig, mich für etwas zu verkaufen, was ich nicht bin, und Mittelsmann und Kaüfer mit mir zu betrügen.


   Meine Absicht ist, mich Verbindungen zu entziehen, die mich an Leib, Seele und Vermögen zu Grunde richten. Das ist die Hauptsumme! Wann würde ich mit dem Detail fertig werden? Doch davon nur etwas.


   Meine hiesigen Amtsquälereien sind um so ermüdender, je nichtswürdiger, je undankbarer sie sind. Der Lohn dafür ist erbärmlich. Ich muß das Meinige zusezen; denn der Lebensunterhalt ist hier sehr kostbar. Ich bin Ueberlaüfen und Gesellschaften aus der Gegend ausgesezt, die mich aufs aüserste ermüden und Aufwand veranlassen, der über mein Vermögen reicht. Es ist unmöglich diesem Fluche der Celebrität zu entgehen. Meine Plackereien rauben mir Zeit und Kräfte, das mangelnde der Notdurft zu ersezen, welches ich sonst wol könte. Ein Amt das mir die unumgängliche Notdurft nicht gewährt, muß mir wenigstens die Mittel nicht abschneiden, das fehlende anderwärts herzuschaffen. Kaum ein Schein von Hofnung ist vorhanden, in diesem aristocratischen Lande, wo der Nepotismus so allenthalben umhergreift, jemals weiter und besser anzukommen, da ich ein Ausländer ohne vermögende FamilienKonnexion bin. Ich bin in einer Lage, da ich es einem halben Duzend Köpfen recht machen muß, welches unmöglich ist, da des einen Interesse dem des andern entgegen streitet.


   Was wunder, wenn man darüber in die grausamste aller Krankheiten: Unzufriedenheit! fält. Sie vergiftet selbst die Luft, die man athmet, raubt alle Elasticität, spannt alle Saiten des Lebens und der Thätigkeit ab; Gott bewahre mich! man möchte bis zur persona miserabilis heruntersinken. Nichts als Verändrung kan mich herstellen und aufrecht erhalten.


   Was für Aussicht ich mir wünsche? Was für ein bestimmtes Talent ich angebe? –


   Ob mir soviel Bonsens und allgemeine Fähigkeiten und Habilität zuzutrauen sind, als zu sehr vielen Geschäften hinreichen, müssen Sie selbst beurtheilen können. Mit meiner Jurisprudenz hoffe ich meistentheils auszukommen, wiewol ichs bisher für unnötig gehalten, des sächsischen Processes kundig zu seyn. Ich habe aber mehr Neigung zu philosophischen, politischen und oekonomischen Wissenschaften und wünsche mir vorzüglich dahin einschlagende Geschäfte. Angenehm wäre mir's auch auf einer Universität mich diesen zu widmen. Ich weiß nicht, ob in Jena hierin für mich was zu thun seyn könnte. Zalen- und Rechnungswesen, verknüpft mit GeldEinnahme und Ausgabe, ist, wenn es ins größere geht, meine Sache nicht. Mir fehlt die erforderliche Stätig- und Pünctlichkeit; und wenn ich gleich keinen Dritten dabei zu gefährden fähig bin, so würde ich mir selbst desto mehr schaden. Ein Amt, dessen Geschäfte in quali et quanto Jahr aus Jahr ein bestimmt sind, ist mir lieber, als eins mit unbestimten anomalischen Geschäften. In einer Woche übermäßig viel und in vier andern alzu wenig Arbeit taugt ebenso wenig, als im Essen, Trinken und Schlafen niemals Zeit und Maaß zu halten. Gewährt das Amt die Lebens-­Notdurft, so kan man sich ihm allein und um so lieber widmen, jemehr es eines Neigung und Fähigkeiten angemessen ist. Wirft es aber die nicht ab, so ist nichts billiger und gerechter, als daß es Zeit und Kräfte übrig lasse, das Mangelnde anderwärts herzuschaffen.


   Am sichersten und aufrichtigsten könte ich auf alles nötige antworten, wenn ich das Amt selbst mit seinen Geschäfften vor Augen hätte und ich gefragt würde: ob ich es gut verwalten könte und wolte?


   Ich habe in Ihrem Briefe noch immer den vortrefflichen Mann
gefunden, den ich zu verehren und zu lieben nie aufhören werde.

   
    GABürger.


S: -  D: BrBü Nr. 610  B: 1781 Mai 30 (WA IV 5, Nr. 1234)  A: 1782 Februar 20 (WA IV 5, Nr. 1411)  V: Druck 

Mit der Schilderung seiner Amtsquälereien, die durch erbärmlichen Lohn und wegen des herrschenden Nepotismus zur grausamen Unzufriedenheit führen, begründet B. den Wunsch nach Veränderung seiner hoffnungslosen Lage. Darstellung seiner Interessen, Fähigkeiten und Abneigungen: Obzwar der Jurisprudenz mächtig, habe B. mehr Neigung zu philosophischen, politischen und ökonomischen Wissenschaften, wie man sie an einer Universität ausübe, wünsche sich aber letztlich ein Amt, das ihm die LebensNotdurft gewähre. Wenn er das Amt selbst mit seinen Geschäfften vor Augen hätte, könnte er am sichersten und aufrichtigsten antworten.

| 1 |

  Ich fühle es wol, warum Sie behutsam seyn müssen. So wenig ich aber Geld borgen würde, wenn ich zum voraus wüste, daß ich nicht wieder bezalen könnte, ebenso wenig wäre ich fähig, mich für etwas zu verkaufen, was ich nicht bin, und Mittelsmann und Kaüfer mit mir zu betrügen.

  Meine Absicht ist, mich Verbindungen zu entziehen, die mich an Leib, Seele und Vermögen zu Grunde richten. Das ist die Hauptsumme! Wann würde ich mit dem Detail fertig werden? Doch davon nur etwas.

  Meine hiesigen Amtsquälereien sind um so ermüdender, je nichtswürdiger, je undankbarer sie sind. Der Lohn dafür ist erbärmlich. Ich muß das Meinige zusezen; denn der Lebensunterhalt ist hier sehr kostbar. Ich bin Ueberlaüfen und Gesellschaften aus der Gegend ausgesezt, die mich aufs aüserste ermüden und Aufwand veranlassen, der über mein Vermögen reicht. Es ist unmöglich diesem Fluche der Celebrität zu entgehen. Meine Plackereien rauben mir Zeit und Kräfte, das mangelnde der Notdurft zu ersezen, welches ich sonst wol könte. Ein Amt das mir die unumgängliche Notdurft nicht gewährt, muß mir wenigstens die Mittel nicht abschneiden, das fehlende anderwärts herzuschaffen. Kaum ein Schein von Hofnung ist vorhanden, in diesem aristocratischen Lande, wo der Nepotismus so allenthalben umhergreift, jemals weiter und besser anzukommen, da ich ein Ausländer ohne vermögende FamilienKonnexion bin. Ich bin in einer Lage, da ich es einem halben Duzend Köpfen recht machen muß, welches unmöglich ist, da des einen Interesse dem des andern entgegen streitet.

  Was wunder, wenn man darüber in die grausamste aller Krankheiten: Unzufriedenheit! fält. Sie vergiftet selbst die Luft, die man athmet, raubt alle Elasticität, spannt alle Saiten des Lebens und der Thätigkeit ab; Gott bewahre mich! man möchte bis zur persona miserabilis heruntersinken. Nichts als Verändrung kan mich herstellen und aufrecht erhalten.

  Was für Aussicht ich mir wünsche? Was für ein bestimmtes Talent ich angebe? –

  Ob mir soviel Bonsens und allgemeine Fähigkeiten und Habilität zuzutrauen sind, als zu sehr vielen Geschäften hinreichen, müssen Sie selbst beurtheilen können. Mit meiner Jurisprudenz hoffe ich meistentheils auszukommen, wiewol ichs bisher für unnötig gehalten, des sächsischen Processes kundig zu seyn. Ich habe aber mehr Neigung zu philosophischen, politischen und oekonomischen Wissenschaften und wünsche mir vorzüglich dahin einschlagende Geschäfte. Angenehm wäre mir's auch auf einer Universität mich diesen zu widmen. Ich weiß nicht, ob in Jena hierin für mich was zu thun seyn könnte. Zalen- und Rechnungswesen, verknüpft mit GeldEinnahme und Ausgabe, ist, wenn es ins größere geht, meine Sache nicht. Mir fehlt die erforderliche Stätig- und Pünctlichkeit; und wenn ich gleich keinen Dritten dabei zu gefährden fähig bin, so würde ich mir selbst desto mehr schaden. Ein Amt, dessen Geschäfte in quali et quanto Jahr aus Jahr ein bestimmt sind, ist mir lieber, als eins mit unbestimten anomalischen Geschäften. In einer Woche übermäßig viel und in vier andern alzu wenig Arbeit taugt ebenso wenig, als im Essen, Trinken und Schlafen niemals Zeit und Maaß zu halten. Gewährt das Amt die Lebens-­Notdurft, so kan man sich ihm allein und um so lieber widmen, jemehr es eines Neigung und Fähigkeiten angemessen ist. Wirft es aber die nicht ab, so ist nichts billiger und gerechter, als daß es Zeit und Kräfte übrig lasse, das Mangelnde anderwärts herzuschaffen.

  Am sichersten und aufrichtigsten könte ich auf alles nötige antworten, wenn ich das Amt selbst mit seinen Geschäfften vor Augen hätte und ich gefragt würde: ob ich es gut verwalten könte und wolte?

 Ich habe in Ihrem Briefe noch immer den vortrefflichen Mann gefunden, den ich zu verehren und zu lieben nie aufhören werde.     GABürger.

 

 
 

Nutzungsbedingungen

Kontrollen

Kontrast:
SW-Kontrastbild:
Helligkeit:

Zitierhinweis

Online-Edition:
RA 1, Nr. 152, in: https://goethe-biographica.de/id/RA01_0152_00165.

Druck des Regests: RA 1, Nr. 152.

Zurück zum Seitenanfang