Briefe an Goethe: RA 1, Nr. 41
Von Friedrich Heinrich Jacobi

6. November 1774, Düsseldorf

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Lieber Göthe, da hast du deinen Prometheus
zurück, und meinen besten Dank dabey. Kaum
mag ich dir sagen, daß dies Drama mich
gefreut hat, weil es mir unmöglich ist dir zu
sagen, wie sehr.


   Ich existiere itzt blos mit dem Gedanken bald
zu Frankfurt zu seyn. Alsdann soll dir, in
dieser oder jener Stunde, erzählt werden, in
was für Feßeln man mir, von Kindesbeinen
an, Geist und Herz geschmiedet; wie man alles
angewendet, meine Kräfte zu zerstreuen, mei-
ne Seele zu verbiegen. Dennoch ward mir viel
von meiner Beylage bewahrt, und drum weiß
ich, an wen ich glaube. Der einzigen Stimme | 2 |
meines eigenen Herzens horch' ich. Diese zu
vernehmen, zu unterscheiden, zu verstehen,
ist mir Weisheit; ihr muthig zu folgen Tu-
gend. So bin ich frey; und wie viel köst-
licher als die Behaglichkeiten der Ruhe, der
Sicherheit, der Heiligkeit ist nicht die Wonne
dieser Freyheit!


   Seit vielen Tagen hab' ich mich sehr übel be-
funden. Alle meine Lebensgeister waren
verblüfft. Ich würde einen Zauberstab, den
man mir gereichet, zerbrochen und unter die
Füsse getreten haben, weil mir vor dem
bloßen Gedanken eines unbegrenzten Vermögens
eckelte, indem ich nichts zu verrichten gewußt
hätte, was mir hätte Freude machen können.
So war mir noch heute den ganzen Morgen,
aber seit einer Stunde ist mir beßer, und
drum komm' ich geschwind, und sage: Grüß | 3 |
dich Gott, lieber Göthe!


   Mich verdrießt, daß ich das neu eröf-
nete Puppenspiel noch nicht habe. Meiner
indifferentistischen Milzsucht ungeachtet,
verlangt' ich, daß es hier sey, und schickte
meinen Bedienten auf die Lauer aller
Postwägen, die mit Frankfurt in Verbin-
dung stehen; aber er kam immer nach
Hause mit einem verzweifelten: er
hat nicksmit bracht. Nun hetzt einen
das, wie du weißt ganz verteufelt. Ich
werde den Kerl nicht wieder heißen aufs
Posthauß gehen; aber du wirst sehen, die-
sen Abend thut er's von selbst, und kömt
dann mit Trim-­schen Anstand: "ich war
auch auf dem Müllheimer Wagen, er hat
nicksmitbracht. | 4 |


   Leb wohl, Lieber, und sieh zuweilen
den Mayn drauf an, daß er in den
Rhein geht, und bey Cölln und Düßel-
dorf vorbeyfließt.



S: GSA 51/II,2 St. 7 (Abschrift von J. H. Schenk)  D: JacobiI 1, Nr. 358  B: -  A: - 

Dank für G.s Dramenfragment "Prometheus", über das er sich sehr gefreut habe und das er beiliegend zurückgebe. J. existiere itzt blos in dem Gedanken bald zu Frankfurt zu sein. Dort werde er G. erzählen, in was für Feßeln man ihm von Kindesbeinen an Geist und Herz geschmiedet. Dennoch gehorche er der einzigen Stimme seines eigenen Herzens. - Nachrichten über mangelndes Wohlbefinden in letzter Zeit und Äußerungen des Unmuts, daß er G.s "Neueröffnetes moralisch-politisches Puppenspiel" ("Jahrmarktsfest zu Plundersweilern") noch nicht erhalten habe.

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 Lieber Göthe, da hast du deinen Prometheus zurück, und meinen besten Dank dabey. Kaum mag ich dir sagen, daß dies Drama mich gefreut hat, weil es mir unmöglich ist dir zu sagen, wie sehr.

  Ich existiere itzt blos mit dem Gedanken bald zu Frankfurt zu seyn. Alsdann soll dir, in dieser oder jener Stunde, erzählt werden, in was für Feßeln man mir, von Kindesbeinen an, Geist und Herz geschmiedet; wie man alles angewendet, meine Kräfte zu zerstreuen, meine Seele zu verbiegen. Dennoch ward mir viel von meiner Beylage bewahrt, und drum weiß ich, an wen ich glaube. Der einzigen Stimme| 2 | meines eigenen Herzens horch' ich. Diese zu vernehmen, zu unterscheiden, zu verstehen, ist mir Weisheit; ihr muthig zu folgen Tugend. So bin ich frey; und wie viel köstlicher als die Behaglichkeiten der Ruhe, der Sicherheit, der Heiligkeit ist nicht die Wonne dieser Freyheit!

  Seit vielen Tagen hab' ich mich sehr übel befunden. Alle meine Lebensgeister waren verblüfft. Ich würde einen Zauberstab, den man mir gereichet, zerbrochen und unter die Füsse getreten haben, weil mir vor dem bloßen Gedanken eines unbegrenzten Vermögens eckelte, indem ich nichts zu verrichten gewußt hätte, was mir hätte Freude machen können. So war mir noch heute den ganzen Morgen, aber seit einer Stunde ist mir beßer, und drum komm' ich geschwind, und sage: Grüß| 3 | dich Gott, lieber Göthe!

  Mich verdrießt, daß ich das neu eröfnete Puppenspiel noch nicht habe. Meiner indifferentistischen Milzsucht ungeachtet, verlangt' ich, daß es hier sey, und schickte meinen Bedienten auf die Lauer aller Postwägen, die mit Frankfurt in Verbindung stehen; aber er kam immer nach Hause mit einem verzweifelten: er hat nicksmit bracht. Nun hetzt einen das, wie du weißt ganz verteufelt. Ich werde den Kerl nicht wieder heißen aufs Posthauß gehen; aber du wirst sehen, diesen Abend thut er's von selbst, und kömt dann mit Trim-­schen Anstand: "ich war auch auf dem Müllheimer Wagen, er hat nicksmitbracht.| 4 |

  Leb wohl, Lieber, und sieh zuweilen den Mayn drauf an, daß er in den Rhein geht, und bey Cölln und Düßeldorf vorbeyfließt.

 

 
 

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Zitierhinweis

Online-Edition:
RA 1, Nr. 41, in: https://goethe-biographica.de/id/RA01_0041_00043.

Druck des Regests: RA 1, Nr. 41.

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