Briefe an Goethe: RA 1, Nr. 33
Von Johann Kaspar Lavater

7. September 1774, Zürich

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Bruder,


Nur ein Wörtchen.
Es ist in unserm Lande eine Sage,
daß ein gewißer catholischer Geistlicher,
Nammens Joseph Gaßner von Salmer-
schweil – täglich im Nammen Jesu
entscheidende Wunder, besonders, an
beseßnen, u Kranken, von dennen er
glaube, daß sie vom Satan gekränkt
werden – verrichten soll


Zu dieser allgemeinen Sage, kommen
eigenhändige Briefe von geheilten,
an ihre Ärzte, die ihnen nicht helfen
könnten – die ich gesehen.


Eigenhändige Briefe von Ärzten, die | 2 |
den Mann Wunder thun, u: Krank-
heiten, die sie nicht heilen konnten,
heilen gesehen.


Eigenhändige Briefe des Wunderthä-
ters, die ich ebenfalls gesehen.


Worinn mit der größten Simplici-
tät erzählt wird, daß er 1800. Per-
sonen, derren Nammen im Closter
Salmerschweilen aufbehalten seyn,
in wenigen Minuten geheilet.
daß in diesem Kloster 18. Krüken
zurückgelaßen worden, von Leüthen
die Jahr u: Tag einen Geist der Schwach-
heit gehabt hatten, u: plötzlich, gerade,
fest u: frisch zum gehen geworden –
sobald er den Satan, dem er ihre | 3 |
Übel zuschrieb, in dem Nammen Jesu
beschworen.


Nun Bruder, sage mir im Ernste,
was soll ich thun?


Wie, soll ich untersuchen? denn daß
ich untersuchen soll, wird wol keine
Frage seyn – wie Fragen? wie schauℓ
u: beobachten? was würdest du
thun? wenn du in Salmerschweil
wärest?


Mit Beseßnen, das ist, mit solchen,
deren Krankheiten ganz vom Satan
abhangen, spielt er, wie ein Brief
eines Augenzeügen sagt, wie mit
einem Hündlein –


Er gebietet den Krankheiten alle Au- | 4 |
genblicke zukommen, u: wieder zu-
gehen.


Hierauf bäldest ein kühles brüder-
liches Antwörtchen.


Bäben grüßt dich.


Dieß Niemand, als der Mamma, u:
der Klettenbergin. Adieü.


   


S: Zentralbibliothek Zürich  D: GL Nr. 25  B: -  A: -  V: Abschrift 

L. wolle die wundertätigen Heilungen J. J. Gaßners, die durch eigenhändige Briefe von Geheilten, Ärzten und Gaßner selbst bezeugt seien, untersuchen und bitte um G.s Rat.

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Bruder,

 Nur ein Wörtchen. Es ist in unserm Lande eine Sage, daß ein gewißer catholischer Geistlicher, Nammens Joseph Gaßner von Salmerschweil – täglich im Nammen Jesu entscheidende Wunder, besonders, an beseßnen, u Kranken, von dennen er glaube, daß sie vom Satan gekränkt werden – verrichten soll

 Zu dieser allgemeinen Sage, kommen eigenhändige Briefe von geheilten, an ihre Ärzte, die ihnen nicht helfen könnten – die ich gesehen.

 Eigenhändige Briefe von Ärzten, die| 2 | den Mann Wunder thun, u: Krankheiten, die sie nicht heilen konnten, heilen gesehen.

 Eigenhändige Briefe des Wunderthäters, die ich ebenfalls gesehen.

 Worinn mit der größten Simplicität erzählt wird, daß er 1800. Personen, derren Nammen im Closter Salmerschweilen aufbehalten seyn, in wenigen Minuten geheilet. daß in diesem Kloster 18. Krüken zurückgelaßen worden, von Leüthen die Jahr u: Tag einen Geist der Schwachheit gehabt hatten, u: plötzlich, gerade, fest u: frisch zum gehen geworden – sobald er den Satan, dem er ihre| 3 | Übel zuschrieb, in dem Nammen Jesu beschworen.

 Nun Bruder, sage mir im Ernste, was soll ich thun?

 Wie, soll ich untersuchen? denn daß ich untersuchen soll, wird wol keine Frage seyn – wie Fragen? wie schauℓ u: beobachten? was würdest du thun? wenn du in Salmerschweil wärest?

 Mit Beseßnen, das ist, mit solchen, deren Krankheiten ganz vom Satan abhangen, spielt er, wie ein Brief eines Augenzeügen sagt, wie mit einem Hündlein –

 Er gebietet den Krankheiten alle Au| 4 |genblicke zukommen, u: wieder zugehen.

 Hierauf bäldest ein kühles brüderliches Antwörtchen.

 Bäben grüßt dich.

 Dieß Niemand, als der Mamma, u: der Klettenbergin. Adieü.

 

 

 
 

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Zitierhinweis

Online-Edition:
RA 1, Nr. 33, in: https://goethe-biographica.de/id/RA01_0033_00035.

Druck des Regests: RA 1, Nr. 33.

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