Briefe an Goethe: RA 1, Nr. 17
Von Johann Kaspar Lavater

28. Dezember 1773, Zürich

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Es ist Mitternacht, Bruder – u: die Augℓ
sinken mir, u: morgen ist kein Augen-
blick des Schreibens – Also schreib' ich noch
eine Zeile Nichts – dir ist sie doch des
Briefports werth – weil du liebest.


O Goethe, unser Gedanke! Du Räthsel –
u: Offenbarung! Deinen Christtags-­
Brief hab' ich vor mir – nehm' ich mit
mir inn's Beth – u: les' ihn – u: staune.
Wir hätten weynen mögen Pf: und ich.
Eins noch, Bruder – Sag' mir doch, wie
kannst du Einheitzwey seyn? Ich kann's
nicht. Ich bin sehr vielfach – u: doch einfach –
aber meine Vielfachheit ist nicht heteroge-
nisch – deine, wollt's mir ein paarmal
auffallen – scheints! Nimmermehr hätt'
ich – so gern ich sonst mit Schwachen Mitlei-
den habe – den Pastorbrief schreiben, und | 2 |
deinen Glauben haben können. Ich glaube,
es ist Großmuth gegen schwache – aber
ich fürchtete mich bey solcher Großmuth
vor Unredlichkeit; so schwach bin ich noch.
Nächstens send' ich dir viele Fragen, mein
Lehrer u: Bruder – auf jede setzest du zwo
Zeilen Antwort bey –


Unterdeßen ein paar zum Voraus.
Was hast du schon alles druken laßen?
Welcher Schriftsteller - u:
welcher Mensch ist dir unter den wirkli-
chen - der liebste? Mein Schriftsteller
ist Crügot und Herder – mein Mensch
ist Pfenninger – u: eine Freündin.


Nun noch – wenn sehen wir uns, aber
du nimmst nur den Bruder mit. Sey u:
vergehe nicht – so bin ich ewig


   dein
Lavater.
   


S: Zentralbibliothek Zürich  D: Briefe HA Nr. 13  B: 1773 Dezember 25 (vgl. RA 1, Nr. 17)  A: 1773 Dezember 31 (vgl. RA 1, Nr. 18)  V: Abschrift 

Zu G.s ChristtagsBrief : / Du Räthsel - u. Offenbarung! [...] wie kannst du Einheit - zwey seyn? Ich kann's nicht. [...] Nimmermehr hätt' ich [...] den Pastorbrief schreiben, und deinen Glauben haben können. - G. möge folgende Fragen beantworten: Was hast du schon alles druken laßen? Welcher Schriftsteller - u. welcher Mensch ist dir [...] der liebste? L.s Schriftsteller seien M. Crugot und Herder, mein Mensch ist J. K. Pfenninger - u. eine Freundin (B. Schultheß).

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 Es ist Mitternacht, Bruder – u: die Augℓ sinken mir, u: morgen ist kein Augenblick des Schreibens – Also schreib' ich noch eine Zeile Nichts – dir ist sie doch des Briefports werth – weil du liebest.

 O Goethe, unser Gedanke! Du Räthsel – u: Offenbarung! Deinen Christtags-­ Brief hab' ich vor mir – nehm' ich mit mir inn's Beth – u: les' ihn – u: staune. Wir hätten weynen mögen Pf: und ich. Eins noch, Bruder – Sag' mir doch, wie kannst du Einheitzwey seyn? Ich kann's nicht. Ich bin sehr vielfach – u: doch einfach – aber meine Vielfachheit ist nicht heterogenisch – deine, wollt's mir ein paarmal auffallen – scheints! Nimmermehr hätt' ich – so gern ich sonst mit Schwachen Mitleiden habe – den Pastorbrief schreiben, und| 2 | deinen Glauben haben können. Ich glaube, es ist Großmuth gegen schwache – aber ich fürchtete mich bey solcher Großmuth vor Unredlichkeit; so schwach bin ich noch. Nächstens send' ich dir viele Fragen, mein Lehrer u: Bruder – auf jede setzest du zwo Zeilen Antwort bey –

 Unterdeßen ein paar zum Voraus. Was hast du schon alles druken laßen? Welcher Schriftsteller - u: welcher Mensch ist dir unter den wirklichen - der liebste? Mein Schriftsteller ist Crügot und Herder – mein Mensch ist Pfenninger – u: eine Freündin.

 Nun noch – wenn sehen wir uns, aber du nimmst nur den Bruder mit. Sey u: vergehe nicht – so bin ich ewig

 dein Lavater.  

 

 
 

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Zitierhinweis

Online-Edition:
RA 1, Nr. 17, in: https://goethe-biographica.de/id/RA01_0017_00019.

Druck des Regests: RA 1, Nr. 17.

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