Goethes Briefe: GB 2, Nr. 268
An Sophie von La Roche

〈Frankfurt a. M. 〉, 11. Oktober 1775. Mittwoch → 〈Ehrenbreitstein bei Koblenz〉


Liebe Mama! Ich geh nach Weimar! Freut Sie das. ich will sehn obs möglich ist mit Wieland auszukommen und seinen alten Tagen, was freundlich s auch von meiner Seite zu bereiten. Ich erwarte das iunge Paar und dann gehts. Schreiben Sie mir doch hin. Sie könnens an Wiel. einschliesen.

die Max ist hold, wird in meiner Abwesenheit noch freyer mit meiner Mutter seyn, obgleich Brent. allen Anschein von Eifersucht verbirgt, 1 oder auch vielleicht mich iezzo für harmlos hält.

Für Buri hab ich nichts thun können ich bin mit meinen Buchhändlern brouillirt. und ein neuer wurde es als Gefallen thun und wieder ein Opfer von mir verlangen, doch will ich seinen Brief mitnehmen.

Wieland ist doch der alte auch in der Neuwiedischen Affaire, diese Weiber Ader wird mich fürcht ich von ihm abscheiden.

Hier Menalck u. Mopsus!

Zimmermann ist gar brav! Ein gemachter Charackter! Schweizer frey gebohren, und am deutschen Hof modifizirt. Er bezaubert alle Welt, sonderlich die Weiber. Merck ist häuslich, still und leidlich. Weis sonst wenig von ihm. Sie kennen den Nichtschreiber ​2, Nichtantworter! Ihr Friz! Liebe Mama! dass das Schicksaal den Müttern solche Schwerdter nach dem Herzen zuckt, in den Momenten da sie all der kleinlichen Sorgen Lohn im Grosen ​3 einerndten sollten – Halten Sie Sich aufrecht! Wer vermags sonst und in müden Stunden, lehnen Sie Sich an unsre Liebe. die gewiss ganz und ewig ist. dℓ. 11 Oktbr. 1775.

G.

  1. verbirgt., (Punkt gestr.)​ ↑
  2. n​Nichtschreiber.​,​ ↑
  3. g​Grosen​ ↑

H: GSA Weimar, Sign.: 29/294,I, Bl. 27. – 1 Bl. 18,8 × 22,9 cm, ¾ S. beschr., egh., Tinte, sorgfältig geschrieben; obere rechte Ecke abgeschnitten.

E: Assing (1859), 371 f., Nr 4.

WA IV 2 (1887), 299 f., Nr 360.

1 Exemplar von Lenz' „Menalk und Mopsus“ (vgl. 221,25).

Ein Bezugs- und ein Antwortbrief sind nicht bekannt.

Postsendungen: 12. Oktober 1775 (AB, 18).

Sophies Mann Georg Michael Anton war am 31. August 1775 nobilitiert worden (vgl. GB 1 II, einleitende Erläuterung zu Nr 117), daher lautet der Name der Adressatin in allen Briefen aus der Zeit nach der Nobilitierung Sophie von La Roche.

Ich geh nach Weimar!] Vgl. zu 221,1–2.

seinen alten Tagen] Wieland war erst 42 Jahre alt.

das iunge Paar] Carl August und Louise von Sachsen-Weimar und Eisenach; sie trafen am 12. Oktober in Frankfurt ein, und Goethe ging davon aus, dass er mit ihnen nach Weimar reisen würde.

Wiel.] Wieland.

die Max] Sophie von La Roches Tochter Maximiliane Brentano.

noch freyer mit meiner Mutter] Aus Nr 248 geht hervor, dass Maximiliane Brentano ihre Beziehung zu Catharina Elisabeth Goethe schon während Goethes Schweizer Reise intensiviert hatte (vgl. 198,1–3).

Brent.] Peter Anton Brentano.

Eifersucht] Vgl. zu 95,3.

Für Buri hab ich nichts thun können] Goethe hatte wohl versucht, für ein Manuskript Ernst Karl Ludwig Ysenburg von Buris einen Verleger zu gewinnen.

brouillirt] Franz. brouiller: sich überwerfen. – Näheres nicht ermittelt.

seinen Brief] Nicht überliefert.

Neuwiedischen Affaire] Johann Friedrich Alexander Graf von Wied plante, von Ideen Basedows angeregt, in Neuwied eine pädagogische Akademie zu gründen. Sophie von La Roche hatte sich um Wieland als Leiter dieses Philanthropinums bemüht. Wieland legte auch einen Erziehungsplan vor, doch „da man zu der Sache schreitten will, gehet er zurück. Dem Poeten verzeyhet man eine gewisse Ungleichheit, aber dem Weltweisen stehet sie nicht zu Gesicht.“ (Henriette Karoline vom und zum Stein an Lavater, 12. November 1775; zitiert nach: Adolf Bach: Wieland und die Gründung einer Akademie in Neuwied. In: Ders.: Aus Goethes rheinischem Lebensraum. Menschen und Begebenheiten. Gesammelte Untersuchungen und Berichte. Neuss 1968, S. 108.)

diese Weiber Ader] Die „Ungleichheit“ in Wielands Verhalten (vgl. die vorhergehende Erläuterung).

Menalck u. Mopsus] Menalk und Mopsus. Eine Ekloge nach der fünften Ekloge Virgils. Frankfurt a. M. und Leipzig 1775. – Die anonyme Satire auf Wieland stammt von Jakob Michael Reinhold Lenz.

Zimmermann] Johann Georg Zimmermann (vgl. zu 196,6; zu 218,16; die zweite Erläuterung zu 221,9).

brav] Zeitgenössisch im Sinne von „tüchtig, mannhaft, sich bewährend“ (GWb 2, 869).

am deutschen Hof] Zimmermann war seit 1768 königlich britischer Leibarzt in Hannover.

modifizirt] Mit ,modifizieren‘ dürfte hier nicht wie in GB 1 I, 247,23 „abändern“ gemeint sein, sondern – mit Blick auf die ursprüngliche Freiheit des Schweizers Zimmermann – „abmessen“, „einschränken“ (Schweizer 2, 516).

Nichtschreiber, Nichtantworter] Goethe hatte zuletzt am 7. Oktober an Merck geschrieben (Nr 267) und noch keine Antwort erhalten.

Ihr Friz!] Sophie La Roches Sohn Friedrich, der den Eltern Sorgen machte; vgl. über ihn zu 5,21. Um was es im aktuellen Fall ging, war nicht zu ermitteln.

 

 
 

Nutzungsbedingungen

Kontrollen

Kontrast:
SW-Kontrastbild:
Helligkeit:

Zitierhinweis

Online-Edition:
GB 2, Nr 268 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), in: https://goethe-biographica.de/id/GB02_BR268_0.

Entspricht Druck:
Text: GB 2 I, S. 221–222, Nr 268 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.
Kommentar: GB 2 II, S. 557–558, Nr 268 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.

Zurück zum Seitenanfang