Goethes Briefe: GB 2, Nr. 24
An Johanna Fahlmer (und Charlotte Jacobi? )

〈Frankfurt a. M. , 9. April 1773? Freitag?〉 → 〈Frankfurt a. M.〉


Einen so hohen heiligen Morgen haben wir noch dies Jahr nicht erlebt. Wie ich ans Fenster sprang und die Vöglein hörte und den Mandelbaum blühen sah und die Hecken alle grün unter dem herrlichen Himmel, konnt ich Ihnen liebe Tante liebe Nichte, länger nicht vorenthalten, warmer Jugend ​1 gute Frühlings ​2 Empfindungen, daran Sie Sich denn erbauen werden, an dem heiligen Leben, mehr als am heiligen Grabe, hoff ich. dass Sie gestern nicht mit mir gingen mögen Sie sich selbst verzeihen. Gott geb ​3 uns mehr solche Tage als den heutigen und bewahr uns ​4 vor Reifenröcken, Triset, Reversino und allem Zähnklappen ​5. Addio.

  1. Jungend​ ↑
  2. Frühlig​ngs​ ↑
  3. bewah geb​ ↑
  4. und​s​ ↑
  5. Zähnklä​appen​ ↑

Der Umstand, dass Goethe vom heiligen Morgen (20,4) und vom heiligen Grabe (20,9–10) spricht, und der Hinweis auf den Frühling lassen vermuten, der Brief könnte an einem Karfreitag geschrieben worden sein. Bei der angeredeten lieben Nichte (20,7) wird angenommen, es handle sich um Johanna Fahlmers Nichte Charlotte Jacobi (vgl. zu 20,7). Wenn das der Fall ist, kann nur der Karfreitag des Jahres 1773 als Briefdatum in Frage kommen, denn Charlotte Jacobi war Ende März/Anfang April 1773 für ein halbes Jahr bis in den September hinein zu ihrer Tante nach Frankfurt gekommen (vgl. Goethe-Fahlmer, 25). Karfreitag fiel 1773 auf den 9. April.

Vgl. Datierung.

H: Privatbesitz, Deutschland. – 1 Bl. 18,1 × 15,1(–15,3) cm, 1 S. beschr., egh., Tinte.

E: Goethe-Fahlmer (1875), 25 f., Nr 2.

WA IV 2 (1887), 74, Nr 137 (nach E; Korrektur nach H in den „Berichtigungen“, vgl. WA IV 50 [1912], 207).

Möglicherweise Manuskript eines Gedichts (vgl. zu 20,8).

Ein Bezugs- und ein Antwortbrief sind nicht bekannt.

Nichte] Nach Urlichs' Erläuterung im Erstdruck (vgl. Goethe-Fahlmer, 25) wird angenommen (vgl. DjG​3 3, 417), es handle sich um Johanna Fahlmers Nichte Charlotte Jacobi, eine Halbschwester der Brüder Jacobi aus der zweiten Ehe des Vaters Johann Konrad Jacobi mit Maria Katharina Lausberg (vgl. Datierung).

Frühlings Empfindungen] Vermutlich schickte Goethe ein Gedicht mit; Genaueres ist nicht bekannt. Vielleicht handelte es sich um „Künstlers Morgenlied“, doch lässt sich dessen Entstehungszeit nicht sicher angeben.

Reifenröcken] „Die Reifröcke waren 〈…〉 rund und bestanden aus fünf Reihen von Reifen, die sich nach oben verjüngten und durch Wachstuch miteinander verbunden waren.“ (Max von Boehn: Die Mode. Eine Kulturgeschichte vom Barock bis zum Jugendstil bearbeitet von Ingrid Loschek. München 1976, S. 40.) Sie wurden aus festlichem Anlass getragen, bei Bällen, Redouten und Empfängen. Hier stehen der Reifrock ebenso wie die im Folgenden genannten Kartenspiele für gesellschaftliche und häusliche Vergnügungen der zu Ende gehenden Winterszeit.

Triset] Trisett (von ital. tre sette: drei Sieben): Kartenspiel für drei oder vier Personen mit den 40 Karten des L'hombre-Spiels (vgl. Binzer/Pierer 24, 64).

Reversino] Auch Reversis: Kartenspiel für vier Personen mit der vollen französischen Karte (ohne die Zehnen) (vgl. Binzer/Pierer 18, 3).

 

 
 

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Zitierhinweis

Online-Edition:
GB 2, Nr 24 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), in: https://goethe-biographica.de/id/GB02_BR024_0.

Entspricht Druck:
Text: GB 2 I, S. 20, Nr 24 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.
Kommentar: GB 2 II, S. 45–46, Nr 24 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.

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